Die Maenner vom Meer - Roman
Holzkübel austauschen, um der hereinbrechenden Flut Herr zu werden. Bald tauchten voraus die dunstigen Umrisse von Inseln auf. Mit zunehmender Annäherung löste sich das Grau in verschiedene Farbtöne auf: unten der von Gelb und Braun in ein rostiges Rot übergehende Ufersaum, darüber das helle Grün der Wiesen und das dunklere der Wälder. Von Ansiedlungen war nichts zu sehen; nur die dem Wald abgerungenen Felder, der Geruch eines Holzfeuers und ein geteerter Kahn, der am Wurzelgeflecht eines Baumes vertäut war, deuteten darauf hin, daß die Inseln bewohnt waren.
Ein Mann, der von einer dieser Inseln stammte und den sie Olaf Dorschbeißer nannten, weil er Fische durch einen Biß in den Kopf zu töten pflegte, schlug vor, die Nacht auf dem Hof seines Vaters zu verbringen; dort würden sie reichlich zu essen bekommen, und sein Vater braue ein gutes Bier. Doch Thormod schüttelte den Kopf: Angesichts der Strecke, die es zurückzulegen gelte, sei es nicht angebracht, unterwegs Verwandte zu besuchen, zumal dieserfahrungsgemäß in ein mehrtägiges Saufgelage ausarte. Im übrigen seien sie jetzt allesamt Seeleute, und für diese gäbe es kein anderes Zuhause als das Schiff.
Hedin beteiligte sich nicht an dem Gespräch. Unbeirrt und mit einer Geschicklichkeit, die alle in Erstaunen setzte, steuerte er das Schiff durch das Gewirr kleiner und größerer Inseln, wich Untiefen aus, die von den anderen erst bemerkt wurden, wenn sie an der Bordwand vorbeiglitten, und nutzte jeden Windhauch, um das Schiff auf Kurs zu halten.
Der einzige Mensch, den sie an diesem Tag zu Gesicht bekamen, war ein Fischer, der, auf einem flachen Stein am Ufer stehend, mit weit ausgreifenden, gleichmäßigen Bewegungen sein Netz einholte. Olaf Dorschbeißer formte mit den Händen einen Trichter, rief dem Fischer seinen Namen sowie den seines Vaters zu und bat ihn, diesem auszurichten, daß er eine weite Reise unternehme, von der er als reicher Mann zurückkehren werde. Der Fischer gab durch nichts zu erkennen, daß er Olaf verstanden hatte; er blickte nicht einmal auf, als das Schiff, von einer Bö erfaßt, mit schäumender Bugwelle an ihm vorüberfuhr. Aber Bjarki Fleischsuppe erhob warnend seine drei Finger und sagte: »Ich könnte dir viel erzählen von Männern, die arm ausfuhren und mit noch weniger zurückkehrten, Olaf Dorschbeißer. Und nicht selten waren es jene, die den Mund zu voll genommen hatten.«
»Entweder komme ich mit einem Sack voll Gold und Silber zurück oder gar nicht«, antwortete Olaf zuversichtlich. Ob er auf die eine oder andere Weise recht behielt, entzieht sich unserer Kenntnis, weil er, wie noch zu berichten sein wird, eines Tages auf Nimmerwiedersehen verschwand.
Am Abend gingen sie im Windschatten einer dichtbewaldeten Insel vor Anker. Da das Ufer unübersichtlich war, erlaubte es Thormod nicht, daß an Land abgekocht wurde, und ließ Fladenbrot, gedörrten Fisch und Sauermilch austeilen. Als der Fisch aus dem Vorratssack geholt wurde, kam auch Ketil Nase wieder zum Vorschein, den bis dahin niemand vermißt hatte. Unter den Gerüchen,die er ausströmte, stach nun der nach Stockfisch besonders hervor und blieb trotz manchen unfreiwilligen Bades an ihm haften.
Nachts kam ein Sturm auf; die Böen stürzten sich über den Wald hinweg mit solcher Wucht auf das Schiff, daß das Ankertau zu reißen drohte. Thormod ließ ein zweites Tau ausbringen, das an einem Findling befestigt wurde. Nun konnte das Schiff zwar nicht mehr auf die tobende See hinausgetrieben werden, aber je nach der Richtung, aus der die Böen kamen, zerrte es mal an diesem, mal an jenem Tau, und jedesmal gab es einen Ruck, daß die Männer erschrocken aus dem Schlaf fuhren.
Gegen Morgen flaute der Sturm etwas ab. Der Wald stand wie eine schwarze gezackte Mauer vor einer grauen Wolkenbank, deren unterer Rand sich zu röten begann. Thormod ließ die Ankerleinen einholen und das Segel setzen; Hedin steuerte das Schiff aus dem Windschatten der Insel, blieb aber so nahe wie möglich unter der Küste, um es nicht der ganzen Kraft des Windes auszusetzen. Die Insel war sehr lang und so schmal, daß sie das Donnern der Brandung auf der anderen Seite hören konnten. Je weiter sie nach Norden kamen, desto lichter wurde der Wald; schließlich löste er sich in einzelne sturmzerzauste Bäume auf und gab die Sicht auf eine mit niedrigem Buschwerk bewachsene Landzunge frei. Das Schiff legte sich ächzend auf die Backbordseite und nahm Wasser über. Thormod
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