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Die Maenner vom Meer - Roman

Titel: Die Maenner vom Meer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Konrad Hansen
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immer wieder, daß du ja ein verstockter Heide bist.« Er bückte sich, packte eine Ratte beim Schwanz und ließ sie, während sie mit den Beinen strampelte und ihn zu beißen versuchte, hin und her pendeln. »Sie haben einen König«, sagte er. »Wenn man ihn fängt und ihn quält, bis er zu schreien beginnt, nehmen die anderen Reißaus.«
    »Aber woran erkennt man ihren König?«
    »Da du ein vertrauenswürdiger Mann bist, will ich es dir verraten«, entgegnete Poppo. »Aber wehe dir, wenn jemand erfährt, daß du es von mir weißt!« Er griff der Ratte mit spitzen Fingern hinter die Ohren und drückte zu. Dann ließ er den leblosen Körper zu Boden fallen, wo er sogleich von den anderen Ratten vertilgt wurde. »Höre also, daß sich der Rattenkönig weder durch seine Größe noch andere Äußerlichkeiten von seinen Untertanen unterscheidet, sondern allein dadurch, daß er das Vorrecht genießt, sich an den feinsten Leckerbissen satt zu fressen, bevor die anderen davon kostendürfen. Gelänge es also, einen jener Leckerbissen zu beschaffen, würde man den Rattenkönig unschwer daran erkennen, daß er sich als erster darüber hermacht.«
    »Die dir an Weisheit Ebenbürtigen sind dünn gesät, Poppo. Doch erlaube mir die Frage, was den Ratten als Leckerbissen gilt.«
    Nun gruben sich Falten in Poppos rotes Gesicht, und nachdenklich kaute er auf den nach innen gestülpten Lippen. »Ich wünschte, ich könnte dir mehrere nennen«, sagte er endlich. »Aber ich erinnere mich nur an einen, und diesen auszusprechen, sträubt sich meine Zunge.«
    »Wenn es uns helfen könnte, die Stadt von dieser schrecklichen Plage zu befreien, darfst du es nicht für dich behalten«, ermahnte ihn Björn.
    Der Bischof hob das Kruzifix vor Björns Gesicht. »Was gibt euch gottlosen Heiden das Recht zu verlangen, daß ich mich euretwegen versündige?« rief er. Dann aber, als Björn sich schon zum Gehen wandte, packte er ihn plötzlich am Arm.
    »Schlag mir auf den Rücken, mein Sohn«, bat er mit gepreßter Stimme.
    »Weshalb?«
    »Tu, was ich dir sage!« schrie Poppo.
    Björn schlug ihm mit der flachen Hand auf den leicht gekrümmten Rücken. Er traf etwas Weiches und vermeinte ein leises Quieken zu hören. Nun schüttelte sich der Bischof, und eine große Ratte fiel zwischen seine Füße. Poppo trat ihr so heftig auf den Kopf, daß zu beiden Seiten seines Schuhs blutiger Brei hervorquoll.
    »Vernimm denn, daß sie das Herz eines neugeborenen Kindes als Leckerbissen schätzen, diese Bestien«, knurrte er und rieb sich mit dem Kruzifix an der Stelle, wo sich die Ratte in seine Haut gekrallt hatte.
    Dank der ihrer Art eigenen Fruchtbarkeit wuchs die Zahl der Ratten mit jedem Tag. Von unersättlichem Hunger getrieben, drangen sie durch die Dächer oder unterirdische Gänge in die Häuser ein. Die Bewohner erkannten bald, daß es unklug war, dieEindringlinge zu erschlagen, denn jede tote Ratte lockte andere an, die sich an ihrem Kadaver gütlich taten. Deshalb beließen sie es dabei, die Ratten vom eigenen Körper fernzuhalten. Aber immer häufiger kam es vor, daß Greisen und kleinen Kindern in Augenblicken der Unachtsamkeit Finger und Zehen abgefressen wurde, daß sie schreiend aus dem Schlaf fuhren, weil sich spitze Zähne in ihr Fleisch gruben.
    Im oberen Teil der Stadt, wo die kargen Vorräte schon nach wenigen Tagen von dem Ungeziefer verzehrt worden waren, brach eine Hungersnot aus. Daß es daraufhin nicht, wie in früheren Zeiten, zu einem Aufruhr kam, war allein den Ratten zu verdanken: Sie fielen in Rudeln über die vom Hunger geschwächten Menschen her und ließen von ihnen nicht mehr als einen Haufen abgenagter Knochen übrig.
    Eines Abends, als Björn sein Haus betrat, hörte er aus den hinteren Räumen die erregten Stimmen der Mägde. Vor der Tür des Schlafgemachs stand Vigdis. Sie hatte die Ellbogen beiderseits gegen die Türpfosten gestemmt und musterte kalten Blicks die Mägde, die bittend, beschwörend, keifend auf sie einredeten. Weshalb sie den Mägden den Eintritt verwehre, fragte er. Sie antwortete nicht, bedeutete ihm jedoch mit einer Kopfbewegung zu lauschen. Aus dem Schlafgemach drang ein Wimmern; es hörte sich an, als versuche jemand kraftlos und nur noch halb bei Sinnen, um Hilfe zu rufen. Ein schrecklicher Gedanke durchzuckte Björn; er warf sich gegen Vigdis, so daß diese rückwärtstaumelnd die Tür aufsprengte. Was er nun sieht, läßt das Blut in seinen Adern stocken: Auf dem Bett liegt, an Händen und

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