Die Maenner vom Meer - Roman
entsprach. »Habe ich dich jemals hintergangen?«
»Wer könnte es sonst sein?« fragte Harald, indem er den Kopf hob und sich lauernd umsah. In diesem Augenblick betrat Sven den Raum, und das Gesicht des Königs verfärbte sich jäh.
Sven Haraldsson trug einen hohen russischen Hut, der ihn größer erscheinen ließ, als er war, und einen Mantel aus weißgrauem Pelz. Sein Gesicht war vom Wind gerötet, und in dem schütteren Bart, der sich knapp unterhalb des Kinns teilte, hingen kleine Eisklumpen. So stand er aufrecht und reglos in der Tür, die hervorquellenden Augen auf den König gerichtet.
»Ich habe dich vermißt, Sohn«, brach Harald das Schweigen. »Wo treibst du dich herum, während ich unser Land gegen den Sachsen verteidige?«
»Du hast mich nicht wissen lassen, daß du mich brauchst, Vater«, erwiderte Sven. »Weil ich meine Zeit aber nicht gern nutzlos verbringe, habe ich die Jomsburg erobert.«
»Sieh an«, sagte Harald, »mein Sohn hat nichts Besseres zu tun, als mir meinen letzten Bundesgenossen zum Feind zu machen.«
»Mistui hat dich verraten«, sagte Sven.
»Und wenn es so wäre, was kümmert es dich!« entgegnete der König. »Mistui und ich sind Freunde von Kindesbeinen an, und seither hat es unserer Freundschaft nicht geschadet, daß jeder den eigenen Vorteil im Auge behielt. Aber nie wären wir gegeneinander in den Kampf gezogen. Wenn es also wahr ist, daß du die Jomsburg überfallen hast, wird Mistui nun auf Rache sinnen.«
»Keine Sorge, Vater. Mistui versichert dich seiner unverbrüchlichen Treue. Er hat mir drei seiner Söhne als Geiseln gegeben.«
»Das beruhigt mich nicht im geringsten. Denn soviel ich weiß, hat Mistui mehr als fünfzig Söhne.«
»Die übrigen leben nicht mehr«, sagte Sven.
Harald schneuzte sich mit zwei Fingern und schnippte den Rotz ins Feuer. Nachdem er eine Weile schweigend vor sich hingestarrthatte, sagte er: »Du fragst mich nicht, wie es mir geht, Sohn. Sehe ich so schlecht aus?«
»Wie geht es dir, Vater?«
»Schlecht«, sagte der König. »Komm her und setz dich zu mir.«
»Ich würde deiner Aufforderung gern Folge leisten, sähe ich nicht, daß der Platz neben dir besetzt ist.«
»Dann bleib, wo du bist!« herrschte ihn der König an. »Aber bringt ihm einen hohen Stuhl, damit ich ihn sehen kann.« Dies war eine derbe Anspielung auf Svens zwergenhafte Gestalt. Es hieß, daß er sie als Makel empfand und hochgewachsene Männer allein durch ihre Größe sein Mißfallen erregen konnten. Deshalb hatten sich manche schon zu jener Zeit, als er noch nicht König war, angewöhnt, ihm in gebeugter Haltung entgegenzutreten. Andererseits war Sven dafür bekannt, daß er selten zu erkennen gab, welche Gefühle ihn bewegten. Er könne, sagte man, der schlimmsten Beleidigung mit einem Lächeln begegnen, während ihm Botschaften, die bei anderen lauten Jubel hervorgerufen hätten, allenfalls ein Achselzucken entlockten.
»Erik Segersäll kam mit dreißig Schiffen und tausend Mann von Schonen herüber«, ließ sich Styrbjörn vernehmen. »Aber er mußte unverrichteter Dinge wieder abziehen, weil er nicht warten wollte, bis uns der Hunger zwang, ihm die Tore zu öffnen.« Nun wandte er sich an den König und fragte: »Sollte uns Sven Haraldsson nicht darüber aufklären, wie es ihm gelungen ist, die Jomsburg zu erobern?«
»Du sprichst aus, was mir im Kopf herumgeht, Styrbjörn«, erwiderte Harald und gab die Frage stumm an seinen Sohn weiter.
»Willst du, daß ich ihm antworte, Vater?«
»Das liegt bei dir«, entgegnete der König.
Sven blickte hinter sich und hob die Hand. Ein Mann kam aus dem Dunkel hervor, den bislang niemand wahrgenommen hatte. Björn spürte, wie Poppo seinen Arm packte, ihn aber sogleich wieder losließ. Der Mann hatte sein langes schwarzes Haar über der rechten Schläfe zu einem Knoten geschlungen, sein Gesicht warbleich und hager, die tiefliegenden Augen waren von struppigen Brauen überschattet, und als er nun ins Licht trat, sah Björn, daß er eine Wolfsmaske auf der Schulter trug.
»Dies ist Skarthi, Vater«, sagte Sven. »Ich zog ihn vor Burgundaland aus dem Wasser und gewann dadurch einen listenreichen Freund. Es war Skarthis Plan, die Obodriten gegen ihren Herrscher aufzuwiegeln, indem wir, insgesamt nicht mehr als zwei Dutzend, von Dorf zu Dorf zogen und in Mistuis Namen die Steuern eintrieben, die jener ihnen nach zwei Mißernten zu erlassen versprochen hatte. Empört über Mistuis Wortbruch griffen die Obodriten zu
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