Die Männer von Bravo Two Zero
Gehirn und anderen lebenswichtigen Organen in Brust und Bauch. Die Hülle ist alles andere: Haut, Fett, Muskeln und Extremitäten. Das ist die eigentliche
Pufferzone zwischen Kern und Außenwelt und schützt die Organe vor einem lebensbedrohlichen
Temperaturwechsel.
Die Beibehaltung der richtige Kerntemperatur ist der wichtigste Faktor für das Überleben. Selbst in extremer Kälte oder Hitze weicht die Kerntemperatur selten mehr als zwei Grad von 36,8° ab. Die Hülle wird einige Grade kühler. Wenn die Kerntemperatur höher steigt als 42,7°
oder unter 28,8° fällt, stirbt man. Der Körper erzeugt bei der »Verbrennung« Energie und Wärme. Wenn man
zittert, sagt der Körper einem, daß man schneller Wärme verliert, als erzeugt wird. Der Zitterreflex hält viele Muskeln in Bewegung und verstärkt die
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Wärmeproduktion, indem mehr Brennstoff verbrannt
wird. Wenn die Temperatur im Körperinnern ein paar Grad absinkt, wird es problematisch. Zittern reicht dann nicht mehr, um einen wieder aufzuwärmen.
Der Körper hat eine Art Thermostat, das in einem
kleinen Stück Nervengewebe am Hirnstamm liegt. Dies steuert die Erzeugung und Verbreitung von Wärme sowie alle Körperteile, die für die Aufrechterhaltung der richtigen Temperatur erforderlich sind. Wenn der Körper unterkühlt wird, reagiert der Thermostat, indem er anordnet, daß Wärme von den Extremitäten ins
Körperinnere geleitet wird. Hände und Füße werden
starr. Wenn die Kerntemperatur weiter absinkt, zieht der Körper die Wärme auch vom Kopf ab. Wenn das eintritt, verlangsamt sich der Kreislauf, und das Opfer bekommt nicht mehr genug Sauerstoff und Zucker für das Gehirn.
Der Zucker, den das Gehirn normalerweise braucht, wird zur Wärmeerzeugung verbrannt. Wenn das Gehirn
langsamer arbeitet, hört der Körper zu zittern auf, und das Verhalten wird irrational. Das ist ein sicheres Indiz, aber eines, das man selbst kaum erkennen kann, weil der Wille, sich selbst zu helfen, bei Unterkühlung mit als erstes schwindet. Man zittert nicht mehr, und man macht sich auch keine Sorgen mehr. Man stirbt, aber es ist einem völlig egal. Der Körper verliert die Fähigkeit, sich wieder aufzuwärmen. Selbst wenn man dann in einen
Schlafsack kriechen kann, kühlt man weiter aus. Der Puls wird unregelmäßig, Benommenheit geht schließlich in Bewußtlosigkeit über. Die einzige Rettung bedeutet Wärme von außen – ein Feuer, heiße Getränke, ein
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anderer Körper. Die wirksamste Methode, einen
unterkühlten Körper erneut aufzuwärmen, ist, ihn in einen Schlafsack mit jemandem zu stecken, dessen
Körpertemperatur noch normal ist.
Eigentlich fühlte ich mich ziemlich sicher, doch das war nahezu verrückt, denn unsere Lage war alles andere als sicher. Wir hockten in einer völlig kahlen Landschaft an einem der wenigen Plätze meilenweit, die
offensichtlich Deckung boten. Ich war einerseits froh, mich endlich ausruhen zu können, wollte mich aber
andererseits bewegen, um warm zu bleiben. Doch uns blieb nichts anderes übrig, als hier zu liegen, uns aneinander zu wärmen und auf die Dunkelheit zu warten.
Der feste Sandboden war hart wie getrockneter Lehm.
Die Landschaft hatte schon vorher fremdartig gewirkt, aber nun, mit der Schneedecke, erschien sie
ausgesprochen unwirklich. Aus dem Schneegestöber
wurde ein Blizzard. Doch ich versuchte, es positiv zu sehen: Immerhin betrug die Sichtweite nun kaum noch 50
Meter.
Den ganzen Tag bewegten sich Fahrzeuge in beiden
Richtungen entlang der Überlandleitung – zivile Lkw, Wassertanks, LandCruiser und gepanzerte
Allradfahrzeuge. Zwei davon trieben unseren Pulsschlag in die Höhe, denn sie fuhren bis auf 200 Meter an unsere Stellung heran. Waren sie uns auf der Spur? Dann hätten wir kaum etwas tun können, denn es war nicht möglich, hier einfach aufzustehen und fortzurennen. Wohin hätten wir uns wenden sollen?
Es gab hier mehr Fahrzeuge, als wir erwartet hatten, 187
und viel stärkere militärische Aktivität. Doch das war nun nicht unsere Hauptsorge. Wir lagen im Schnee,
gepeitscht von einem bitterkalten Wind, und wir waren vor allem darauf aus, uns warm zu halten und zu
überleben. Wir waren körperlich völlig erschöpft und dem Wind voll ausgesetzt. Niedrige Temperatur
verbunden mit starkem Wind kann eine Auskühlung
bewirken, die einen umbringt. Bei einem Wind von 50
km/h friert Haut bei minus 9° in weniger als 60
Sekunden. Später erfuhren wir, daß es das schlimmste Wetter
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