Die Maetresse des Kaisers
Mörser zu einer grünen Paste, die er dann auf die rot schimmernden Wundränder rieb. Manfred hatte inzwischen die Hoffnung aufgegeben, dass Enzio seine Verletzung überleben würde, doch der Medicus kämpfte hartnäckig um das Leben des Grafen. Auch von Heinrich von Passau hatte er seit dessen Abreise nichts mehr gehört. Offensichtlich war es ihm nicht gelungen, Bianca aufzuspüren.
Manfred ließ erschöpft den Kopf in die Hände sinken. In einer verhängnisvollen Nacht hatte das Schicksal sein Urteil über seine Familie gesprochen. Wenn Enzio starb, würde das auch für ihn Folgen haben. Er kannte die stolze und rachsüchtige Sippe der Puccis nur zu gut. Früher oder später würden sie sich einen Schuldigen suchen. Und wenn seine Schwester nicht auffindbar war, würde er derjenige sein, der für ihre Tat büßen musste.
»Bianca«, flüsterte er. »Was hast du nur getan.«
Seine erste unbeherrschte Wut war verraucht, aber dennoch konnte er nur mit Bitterkeit an seine Schwester denken. Sie hatte Unglück über alle Lancias gebracht, und auch die Tatsache, dass die Familie nur noch aus wenigen Mitgliedern bestand, machte ihr Vergehen nicht kleiner. Im Gegenteil. Gerade weil Bianca seine einzige nahe Verwandte war, konnte er ihre Tat nicht verzeihen.
Noch immer wusste man nicht, was genau in dieser Nacht passiert war, aber Biancas blutige Schere war gefunden worden. Und Manfred zweifelte keinen Augenblick, dass es seine widerspenstige Schwester höchstpersönlich gewesen war, die ihrem Bräutigam die Schere in den Rücken gerammt hatte.
Hatte Enzio ihr Gewalt antun wollen? Alle Männer waren an diesem Abend betrunken gewesen. Enzio musste im Rausch Biancas Kammer aufgesucht haben. Das war ein Vergehen. Kein Mann hatte das Recht, die Räume der Frauen zu betreten. Aber musste sie gleich zu solch drastischen Mitteln greifen?
Manfred hieb voller Zorn mit der Faust auf den Tisch. Verfluchte Weiber. Ein Ritter konnte nicht in Frieden leben, wenn er die Verantwortung für eine Frau trug. Er musste sie unablässig beschützen, umsorgen, und dann warf sie ihm unter Umständen auch noch vor, dass er nicht lesen und schreiben konnte. Er hätte seine Schwester nie zu den gelehrten Nonnen geben sollen. Nichts als Ärger und Verdruss hatte ihm das eingebracht. Und jetzt lief er Gefahr, selbst in dem Strudel der Ereignisse zu versinken, die seine Schwester heraufbeschworen hatte. Zur Hölle mit dir, Bianca, dachte Manfred und nahm einen großen Schluck von dem kühlen Wein, der bislang immer seine Nerven beruhigt hatte. Er hörte ein Kratzen, sah auf und bemerkte den Medicus, der ihm zuwinkte.
»Ich glaube, die Krise ist überstanden. Der Graf von Tuszien ist kurz erwacht und dann in einen tiefen Schlaf gesunken.«
Manfred blickte den Medicus ungläubig an. »Heißt das, er wird gesund?«
»Das heißt zunächst einmal, dass die akute Gefahr gebannt ist. Das Fieber, das sein Leben bedroht hat, ist vorüber.«
Mit neuer Kraft erhob sich Manfred und holte einen Krug, um dem Medicus einen Schluck Wein anzubieten.
»Nehmt etwas Wein, Ihr habt ihn Euch verdient«, forderte er den Mann auf. »Hat Enzio etwas gesagt?«
»Ja«, antwortete der Medicus. »Selbst in seinen furchtbaren Fieberträumen hat er gesprochen. Aber er findet immer nur das eine Wort.«
Manfred sah ihn gespannt an. »Und? Was sagt er?«
Der Medicus zögerte einen Moment, bevor er sprach. »Bianca.«
S ie fanden die Stella Maris auf Anhieb. Sie war eines der kleineren Schiffe im Hafen, wirkte aber schnell und wendig. Bianca zählte drei Masten, und es sah so aus, als hätte das Schiff mehrere Kajüten für Passagiere und Besatzung zur Verfügung. Das Schiff war nicht neu, an mehreren Stellen waren die Planken ausgebessert und kalfatert worden. Von den Segeln sah Bianca nicht viel, sie waren mit groben Tauen um die Rahen gebunden. Trotzdem schienen sie schmutzig und seit langem in Gebrauch zu sein. Die Stella Maris erinnerte Bianca an eine schöne Frau, die durch die Strapazen des Lebens viel zu schnell gealtert war. Eine Frau, die zwar ihre Anmut verloren, aber sich Respekt erkämpft hatte.
»Los«, drängte sie Lorenzo. »Lasst uns den Kapitän suchen und dann unsere Vorbereitungen treffen.«
Sie brauchten unbedingt Vorräte für die Reise. Jeder Passagier kümmerte sich an Bord selbst um Essen und Trinken. Ihr Fährmann hatte sie mit dem notwendigen maritimen Grundwissen ausgestattet, und von ihm wussten sie auch, dass jetzt im Sommer ein stetiger
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