Die Maetresse des Kaisers
Biancas Gedanken drehten sich längst nur noch um eins. Der Kaiser lebte und war auf dem Weg ins Heilige Land. Der Sultan al-Kamil rief seine Verbündeten zusammen, und sie selbst saß hilf- und tatenlos im Harem und bemalte den Liebesdienerinnen die Hände mit kunstvollen Ranken aus Henna.
Könnte ich doch fliegen wie ein Falke, dachte Bianca, und endlich wieder frei sein. Doch schon im nächsten Moment meldete sich ihr scharfer Verstand, der ihr sagte, dass erstens Menschen eben nicht wie Vögel Mauern überwinden können und es zweitens keinen Ausweg aus diesem goldenen Käfig geben würde. Nicht heute und nicht morgen. Sie würde für den Rest ihres Lebens eine Gefangene sein.
D ie Spur war kalt geworden. Der Frühling hatte mit farbenprächtiger Blüte seinen Einzug auf Zypern gehalten, doch inzwischen war er vom Sommer abgelöst worden, und noch immer suchten sie nach Bianca und Lorenzo. Wäre nicht die großzügige Gastfreundschaft des Johann von Ibelin gewesen, hätte Heinrich von Passau ohnehin längst zurücksegeln müssen. Doch so genossen er und sein Begleiter, der auch unter Limassols heißer Sonne an seiner Vorliebe für pechschwarze Kleidung festhielt, das süße Leben des Nichtstuns und dachten gar nicht daran, sich der schlechten Laune von Enzio Pucci zu stellen. Zumal sie weit davon entfernt waren, ihren Auftrag zu erfüllen.
Es war keineswegs so, dass sie es aufgegeben hatten, nach Bianca und Lorenzo zu suchen, aber die Zeit, die sie tatsächlich nutzten, um den beiden nachzuspüren, war merklich kürzer geworden. Meist lebten sie in einem der Stadtpaläste der Ibelins, die Heinrich von Passau – übrigens ohne eine Sicherheit zu verlangen – eine größere Geldsumme geliehen hatten.
Viele Pilger des im vergangenen Jahr gescheiterten Kreuzzugs waren auf Zypern geblieben und hatten ihre Pläne, das Heilige Land für die Christenheit zurückzuerobern, aufgegeben. Nicht minder galt das für eine große Anzahl von Rittern, die sich auf der Insel als Lehnsherren der Ibelins niedergelassen hatten und dem Ordensmeister Heinrich von Salza nicht nach Akkon gefolgt waren.
Die Chance, dass auch Bianca und Lorenzo sich irgendwo auf Zypern versteckten, war daher groß genug gewesen, um einen längeren Aufenthalt in Limassol, Famagusta oder Nikosia zu rechtfertigen. Außerdem verspürte Heinrich wenig Lust auf eine weitere Seereise und hielt seine Anwesenheit auf der Insel für so wichtig, dass er Enzio Pucci die Nachricht zukommen ließ, er und sein Helfer seien den beiden Flüchtigen dicht auf den Fersen.
Da Enzio aus welchen Gründen auch immer nicht antwortete, sah Heinrich keine Veranlassung, das mittlerweile recht bequeme Zypern-Abenteuer zu beenden und abzureisen. Die Kunde von einem erneuten Kreuzzug des Kaisers, der es wagte, als vom Papst Gebannter sich zum einen König von Jerusalem zu nennen und zum anderen die Streitmacht Christi gegen die Muslime anzuführen, hatte jedoch unerwartet Bewegung in den müßigen zypriotischen Alltag gebracht. Jeder ging davon aus, dass Friedrich die Insel ansteuern würde, und da der Kaiser und die Familie Ibelin nicht eben freundschaftlich verbunden waren, konnte man mehr oder weniger unruhige Zeiten erwarten.
Auch Heinrich hielt es für ratsam, dem Kaiser und seinen Vertrauten lieber aus dem Weg zu gehen. Friedrich hatte ihm die politischen Ränkespiele in Deutschland nicht verziehen, und das Schlimmste, was Heinrich von Passau passieren konnte, war, dass der Kaiser sich auch noch in die Privatfehde von Enzio Pucci mit der Gräfin Lancia einmischte. Da Friedrich dafür bekannt war, keiner schönen Frau widerstehen zu können, würde er sich ohne Zögern auf Biancas Seite stellen und Enzios Rachefeldzug noch weiter erschweren.
Aber, beruhigte sich Heinrich, Bianca war spurlos verschwunden und die Wahrscheinlichkeit, dass der Kaiser die schöne Gräfin kennenlernen würde, verschwindend gering. Vielleicht, spekulierte er, hatte Bianca längst einen ritterlichen Beschützer gefunden und sich als ehrbare Dame ebenfalls irgendwo an der Küste Palästinas niedergelassen. Auf jeden Fall war es sicherer, Limassol den Rücken zu kehren und in den Norden nach Nikosia zu reiten. Dort könnte er in Ruhe abwarten, bis der Kaiser Zypern wieder verlassen hatte, um seine Ritter ins Heilige Land zu führen. Sein schwarz gekleideter Begleiter würde unterdessen an der Südküste bleiben, schließlich war ein Mann wie er dem Kaiser gänzlich unbekannt.
Heinrich von Passau
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