Die Magd und das Teufelskind: Historischer Roman (German Edition)
schnappte sich ihr Bündel.
»Nach Hause. Wir kehren endlich heim.«
Ivens Mutter schien erfreut, und sein Vater weinte, wohl aus Freude, doch da konnte man sich bei ihm nicht sicher sein.
Nachdem die Mutter in den Karren gestiegen war und mit zahnlosem Mund so breit grinste, als wäre sie die Kaiserin des Heiligen Römischen Reiches, beruhigte sich auch der alte Mann. Auf dem Heimweg begann die alte Frau, ein Lied zu singen, in das der Vater einstimmte. Iven lauschte mit einem wehmütigen Lächeln auf den Lippen. In seinem Herzen wütete unablässig bittere Enttäuschung.
Der Segen des Paters in Sankt Christoph war schnell gesprochen, und so konnte Iven nach kurzer Zeit als Lebender das letzte Stück des Weges nach Hause antreten.
Als er die Tür zu seinem Elternhaus öffnete, schlug ihm der Gestank von Verwesung und Körpersäften entgegen. Iven musste würgen. In der Spülschüssel sammelte sich verkrustetes Geschirr, auf dem sich Maden tummelten. Die Lumpen des Bruders und die Kleider eines offenbar wohlhabenden Mannes samt feiner Lederstiefel lagen verstreut auf dem Boden.
Ächzend betrat seine Mutter das Haus. Mit zusammengekniffenen Augenbrauen blickte sie sich um und polterte los. »So hat es in all den Jahren hier nicht ausgesehen! Ein Schweinestall ist das!«
Der Vater drängte sich an ihr vorbei, setzte sich an den Tisch und weinte in seine Handflächen. Plötzlich tauchte Hans Jorgen am oberen Treppenabsatz auf. Um seine Lenden hatte er ein Laken geschlungen. Mit Augen groß wie Hühnereier blickte er auf Iven und die Eltern. Hinter ihm erschien ein nackter Mann, der die Neuankömmlinge nicht minder erstaunt in Augenschein nahm.
Iven sog scharf den Atem ein. »Sieh zu, dass dieser Kerl von hier verschwindet!«, befahl er mit erstickter Stimme. Mit langen Schritten verließ er das Haus, holte sein Werkzeug aus dem Karren und betrat den Schuppen. Das Sonnenlicht fiel schräg durch eines der verstaubten Fenster. Die Strahlen erhellten einen Steinblock, dem noch das Leben fehlte. Iven zog Hammer und Meißel aus dem Bündel und begann zu arbeiten. Doch sosehr er auch versuchte, sich auf den Stein zu konzentrieren, das Bild des nackten Mannes, der hinter Hans Jorgen gestanden hatte, wollte nicht aus seinem Kopf verschwinden. Missmutig warf Iven das Werkzeug in die Ecke und blickte aus dem Fenster. Vor dem Haus fuhr sich gerade Hans Jorgens Liebhaber mit den Fingern durch die blonden Locken und setzte sich den breitkrempigen Hut auf. Dann ging er mit tänzelnden Schritten durch die Gasse davon. Ein Freudenhaus mit einer männlichen Hure hatte Hans Jorgen aus dem Elternhaus gemacht. Der Bruder musste so schnell wie möglich das Weite suchen, sonst würde er teuer dafür bezahlen.
Iven verließ zornig den Schuppen und ging ins Haus. Seine Mutter hatte bereits den Unrat vom Boden aufgesammelt und stapelte nun das Geschirr in der Spülschüssel. Vater weinte immer noch, und von Hans Jorgen fehlte jede Spur. Wahrscheinlich richtete er in der Schlafkammer sein Haar.
Iven riss alle Fenster auf, um den Gestank aus dem Haus zu vertreiben. Dann trat er an die Feuerstelle, schürte die Glut und nahm einen Eimer, um am Brunnen Wasser zu holen. »Mutter, ich kümmere mich schon um das Geschirr. Setz du dich zu Vater und versuche, ihn zum Lachen zu bringen.«
»Nee, lass mal, zuerst sorge ich hier für Ordnung, Jung. Solange soll Vater ruhig weinen. Wo ist eigentlich unser Engel? Du weißt schon, das Mädchen mit dem blonden Haar.«
Nun war es um Ivens Fassung geschehen. Er umklammerte den Henkel des Eimers, bis seine Fingerknöchel weiß hervortraten. »Es gibt keinen Engel mehr«, zischte er.
Sein Vater heulte auf.
Iven konnte nicht glauben, dass er sich noch vor kurzem in sein altes Leben zurückgewünscht hatte. Außerdem besaß er nicht einen einzigen Albus. Am Ende war er noch auf Hans Jorgens Geld angewiesen, das der Bruder sich mit seiner Hurerei verdient hatte. Er verließ das Haus und blickte flehend in den Himmel. »Herr, lass ein Wunder geschehen! Sonst verliere ich den Verstand.«
Nachdem er den Eimer voll Wasser aus dem Brunnen geschöpft hatte, fragte er sich, wie das Wunder wohl aussehen sollte. Kommt Zeit, kommt Rat, sagte er sich. Zuerst galt es, das Haus herzurichten, damit es wieder bewohnbar war. Dann würde er Gülich aufsuchen und nach Aufträgen fragen.
Nur zwei Wochen dauerte es, dann mussten Mergh und Gotthardt vor das hohe Gericht treten. Die Zeit im Frankenturm war die
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