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Die Magd von Fairbourne Hall

Die Magd von Fairbourne Hall

Titel: Die Magd von Fairbourne Hall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Klassen
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zweiten Morgen kam Lewis spät zum Frühstück hi­nunter. Er hatte ein blaues Auge und eine geschwollene Wange. »Nate, alter Junge, das war vielleicht ein Auftritt!«
    Nathaniel sah seinen Bruder misstrauisch an, doch dessen Ton verriet keinen Groll. Es tat ihm leid, dass er die Beherrschung verloren hatte, aber er war völlig fertig gewesen von der langen Reise. So etwas würde ihm nicht noch einmal passieren.
    Lewis beäugte ihn eingehend und Nathaniel wurde bewusst, dass er sich dringend rasieren und die Haare schneiden lassen musste.
    »Sieh an, sieh an«, meinte Lewis. »Wer ist dieser Schurke, der mir da gegenübersitzt, und was ist aus meinem kleinen Bruder geworden?«
    »Das machen die zwei Jahre auf Barbados.«
    »Auf mich hatte die Insel nicht diese Wirkung.«
    Leider , dachte Nathaniel, doch er sagte: »Tut mir leid, das auf dem Ball.«
    »Mir nicht.« Lewis feixte. »Wir werden mindestens eine Woche lang Stadtgespräch sein.«
    »Jedenfalls bis zum nächsten Skandal«, erwiderte Nathaniel trocken.
    Lewis nahm sich Kaffee und mehrere Stücke Zucker – Zucker, der auf Barbados angepflanzt und in England raffiniert worden war. Nathaniel holte sich ebenfalls eine Tasse und ließ sich an dem zierlichen Sekretär im Frühstückszimmer nieder. Er setzte seine Brille auf und fuhr fort, die Auslagen in ein Kontobuch einzutragen. Eigentlich wäre das die Aufgabe von Hudson gewesen, doch der hatte da­rauf bestanden, an Bord der Ecclesia zu bleiben und Wache zu halten, da Nathaniel der Mannschaft drei Tage Urlaub gegeben hatte.
    Lewis drehte sich von der Anrichte um und lachte. »Das ist mein Bruder, wie ich ihn in Erinnerung habe. Die Nase in einem Buch und eine unvorteilhafte Brille im Gesicht.«
    Nathaniel ignorierte den Seitenhieb. »Hattest du vor, diese Rechnungen jemals zu begleichen?«
    »Ich? Dafür haben wir doch Angestellte.«
    Nathaniel knirschte mit den Zähnen. »Ach wirklich? Wie ich sehe, hast du einen zweiten französischen Koch eingestellt, aber weder einen Buchhalter noch einen Sekretär.«
    Lewis biss von einem Würstchen ab und sprach mit vollem Mund. »Monsieur Fournier zog es vor, auf Fairbourne Hall zu bleiben, und ich konnte Helen schließlich nicht im Stich lassen, oder?«
    »Genau das hast du getan.«
    »Die Saison ist fast vorbei, alter Junge«, beschwichtigte Lewis ihn. »Dann werde ich den Schwanz einklemmen und wie ein treuer Spaniel nach Hause zurücktrotten. Du wirst doch nicht so grausam sein und verlangen, dass ich London jetzt gleich verlasse, zumal du gerade zurückgekehrt bist?« Er strich sich über seine geschwollene Wange. »Allerdings – wenn ich an die Begegnung mit deinen Fäusten denke, bin ich mir nicht so sicher.«
    Nathaniel fiel auf, dass Lewis nicht auf den Grund für seine Rückkehr zu sprechen kam. Er wusste, dass sein Vater Lewis deswegen einen Brief geschrieben hatte, aber er war froh, dass er die Sache nicht gleich wieder zur Sprache bringen musste.
    Nach dem Frühstück verbrachte er mehrere Stunden damit, mit Lieferanten zu verhandeln und diverse Konten zu überprüfen. Danach ließ er sich von Lewisʼ Kammerdiener die Haare schneiden und so gründlich rasieren wie schon seit Monaten nicht mehr. Und dann sah er sich endlich in der Lage, zu seinem Schiff zurückzukehren, Hudson und seine restlichen Besitztümer abzuholen und sich auf den Weg nach Maidstone zu machen.
    Nathaniel überließ Lewis den Kutscher und den modernen Landauer und bestand – zum Entsetzen des Kutschers – darauf, die alte Reisekutsche selbst zu lenken. Er wäre auch geritten oder hätte den offenen Zweispänner genommen, aber er hatte eine ganze Menge Gepäck, das er nach Fairbourne Hall bringen musste, bevor der Kapitän und die Mannschaft ohne ihn nach Barbados zurücksegeln konnten.
    Er genoss es, selbst zu fahren und die ledernen Zügel in der Hand zu halten, obwohl die geräumige, schwere Kutsche bei Weitem nicht so einfach zu manövrieren war wie der kleine Pferdewagen mit der temperamentvollen Stute, der ihm auf der Insel zur Verfügung stand.
    Er stellte den Kragen seines Paletots auf und zog sich den Hut tief in die Stirn. Dabei ignorierte er die missbilligenden Blicke ihres Nachbarn, eines alten Witwers, der entsetzt war, ihn selbst kutschieren zu sehen.
    Zweifellos hatte er der Gerüchteküche, in der er bereits seit längerer Zeit als unzivilisierter Wilder gehandelt wurde, soeben neue Nahrung gegeben.
    Er nahm die übliche Route zum Londoner Hafen. Dort angekommen,

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