Die Magie Des Herrschers
dringend an einem anderen Ort erwartet wurde.«
»Hast du herausfinden können, von wann diese Notizen stammen?«, wollte der Inquisitor wissen. »Und du bist mir immer noch eine Antwort schuldig, um welche Sprache es sich dabei handelt.«
Lakastre senkte den Kopf ein wenig, ihre Zunge leckte über die Lippen, ihre Augen ruhten auf ihm. »Es ist alt«, sagte sie ausweichend. Geschmeidig stand sie auf und umrundete den Tisch, während Pashtak in die entgegengesetzte Richtung eilte. »Wo willst du denn hin?«, fragte sie spöttisch. »Hast du Angst vor mir, Inquisitor?«
»Mir ist nur eingefallen, dass ich noch etwas in einem der Bücher nachschauen wollte«, log er und kramte auf dem Tisch herum, wobei er immer darauf achtete, dass sich der Abstand zwischen Lakastre und ihm nicht verringerte. Der Vergleich zu einem pirschenden Raubtier und seiner Beute drängte sich ihm auf.
»Das ist albern«, sagte sie ärgerlich. »Bleib doch stehen.«
»Ich suche«, meinte er und wich ihr aus; der Verwesungsgeruch schlug ihm auf die empfindliche Nase. »Das Buch kann überall sein. Ich werde in den Regalen suchen, vielleicht hat eine Nackthaut es zurückgestellt.« Er deutete über die Schulter in den rückwärtigen Bereich. Lange Korridore ermöglichten es ihm, bei einer eventuellen Flucht seine Geschwindigkeit voll auszunutzen.
Als hätte sie seine Gedanken gespürt, sprang sie mit einem Satz auf die Arbeitsfläche des Tisches und kauerte sich zusammen, alle Muskeln ihres Körpers gespannt. Pashtak kannte das Verhalten nur zu genau. Ihr Gesicht hatte sich verändert, war grober, maskuliner geworden. Grellgelb glühten ihre Augen.
Was sich da zum Angriff bereit machte, glich dem Wesen, das ihn damals vor dem herabstürzenden Steinbrocken bewahrt hatte, bis aufs Haar. Das musste die andere Seite von Lakastre sein. Die Seite, die für die Morde verantwortlich war, die nicht in den Verantwortungsbereich der Sektierer fielen.
Auf alle Fälle werde ich gleich herausfinden, wie stark sie ist, dachte er in einem Anflug von Galgenhumor. Laufen oder kämpfen ?
»Mutter!«, schallte es durch das Gebäude. Der Kopf eines Mädchens im Alter von knapp fünfzehn Jahren erschien am Treppenaufgang. Ihre langen dunkelbraunen Haare wehten hinter ihr her, als sie die letzten Stufen in riesigen Schritten nahm und sich vor den Inquisitor stellte. »Da bist du ja. Wir waren doch verabredet, hast du das vergessen?« Sie bewegte sich auf die Frau zu und streckte eine Hand nach ihr aus. »Komm herunter. Was soll denn der Inquisitor von dir denken?«
Das Leuchten riss abrupt ab, das Bernsteinfarbene ihrer Augen kam wieder zum Vorschein, und ihre Körperhaltung lockerte sich. Beschämt stieg sie von den Büchern und hüpfte auf den Boden. Nach einem flüchtigen Blick zu Pashtak floh sie über die Treppe.
»Mutter, warte!«, rief das Mädchen. »Bitte verzeiht Ihr, Inquisitor«, bat sie. »Sie hatte einen fürchterlichen Albtraum, der sie wohl ein wenig durcheinander brachte.« Schon nahm sie die Verfolgung Lakastres auf. Ihre Schritte verklangen rasch in der Halle, und wieder fiel krachend die Tür ins Schloss.
Pashtak zuckte bei diesem Geräusch zusammen, die lähmende Wirkung, die von den gelben Pupillen ausgegangen war, fiel von ihm ab.
Hat mir ihre Tochter etwa gerade das Leben gerettet?, überlegte er. Er kannte das Mädchen nicht sonderlich gut, denn es hielt sich in der Öffentlichkeit vornehm zurück. Er konnte nicht einmal sagen, welche Tätigkeit Boktors Tochter ausübte oder welchen Namen sie trug. Am Rande hatte er bemerkt, dass sie weder mit ihrem Vater noch mit der Mutter viel gemein hatte.
Sein Unterbewusstsein meldete ihm aber noch etwas.
Das Mädchen trug über ihrer Kleidung eine beigefarbene Robe, aus der ein Stückchen Stoff an der Schulter fehlte. Girrend suchte er den Fetzen hervor, den er in Boktors Grabkammer gefunden hatte. Die Farben stimmten zumindest überein.
Dann war sie es am Ende, die sich an der Leiche zu schaffen machte? Oder helfen sich Mutter und Tochter gegenseitig?
Nachdenklich kehrte er an den Tisch zurück und schichtete die Bücher aufeinander, die durch Lakastres Sprung umgefallen waren.
Das kleine Notizheftchen konnte er allerdings nirgends entdecken. Die Frau musste es mitgenommen haben.
Tatsächlich betrat er die Bibliothek in den frühesten Morgenstunden wieder als Erster. Der Tzulani wartete noch nicht einmal vor der Tür.
Ausgestattet hatte sich Pashtak mit einem Beutel voller Proviant
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