Die Magie Des Herrschers
und einem Kurzschwert, das er nun immer bei sich tragen wollte. Keiner der Mörder, weder Lakastre noch die Sektierer, würden ihn bekommen, ohne nicht mindestens ein paar Stiche zu kassieren.
Als er summend die letzten Stiegen ins obere Stockwerk hinaufstapfte und den Blick hob, prallte er zurück und wäre um ein Haar die Treppe hinuntergefallen.
»Guten Morgen, Inquisitor«, grüßte ihn Lakastre, die auf dem Stuhl saß und ihn offensichtlich erwartete. Heute wirkte sie im Gegensatz zur gestrigen Nacht hübsch, ausgeruht und ausgeglichen. Boktors Witwe präsentierte sich zumindest dem Äußeren nach wie ein ganz herkömmliches Weibchen, selbst der Geruch passte. Unschlüssig verharrte Pashtak auf dem Absatz und knurrte leise.
Sie erhob sich und entfernte sich von seinem Platz. »Ich kann deine Abneigung und dein Verhalten sehr gut verstehen. Ich bin hier, um mit dir zu reden.«
»Du willst mir wieder drohen, wie du es schon einmal getan hast«, vermutete er. Wie ist sie hereingekommen? »Damals, unmittelbar nach der Ratssitzung, hast du Bemerkungen über meine Familie gemacht. Erspar es dir und mir.«
Lakastre schüttelte zaghaft den Kopf. »Nein, deshalb bin ich nicht hier. Ich mache selten die gleichen Fehler zweimal. Ich wollte dir das Heft zurückbringen.« Sie nahm das Büchlein aus einer Falte ihrer Robe und legte es auf den Tisch. »Du findest auf der ersten Seite einen Zettel mit Übersetzungen von dem, was ich verstanden habe, auch wenn es nicht sehr viel war. Es ist ein sehr alter Dialekt, der nicht mehr verwendet wird. Die Qualität des Papiers ist nicht die Beste, das kam erschwerend hinzu.«
Aufmerksam musterte er sie. »Was war mit dir gestern? Deine Tochter sagte, du würdest unter den Nachwirkungen eines Albtraums leiden. Du aber meintest, es sei der Wechsel der Jahreszeiten.« Hart schaute er sie an. »Wenn ihr lügt, dann stimmt euch wenigstens vorher ab. Alles andere lässt Ausreden nur unglaubwürdig erscheinen.«
Sie öffnete den Mund, als wollte sie etwas sagen, entschied sich dann aber anders. Sie nickte ihm zu, ging an ihm vorbei und verließ die Bibliothek. Kein Verwesungsgeruch, nicht einmal ein Hauch davon, blieb zurück.
Pashtak setzte sich an seinen Tisch und las die Übersetzung, die Lakastre noch in der Nacht angefertigt hatte. Ihre Handschrift war deutlich, klar und schön geschwungen.
» Es muss ein gewaltiger Krieg stattgefunden haben.
Ich bin auf ein altes Schlachtfeld gestoßen, das die Menschen ›Blutfeld‹ nennen.
Es ist immer noch eine stinkende, morastige Ebene zwischen zwei Hügeln, übersät mit den verrottenden Knochen von Mensch und Tier, faulende Schäfte von Spießen und Lanzen stehen aus der gärenden Erde hervor.
Vor nicht allzu langer Zeit endete Fürst Sinureds Herrschaft und damit auch die Epoche, die heute die Dunkle Zeit genannt wird. Die vereinigten Heere von Ulldart und göttliche Hilfe, was immer das auch heißen mag, schlugen die überraschten Seestreitkräfte Sinureds vor der Küste Sinurestans.
Das Ende des Kriegsfürsten ist ungewiss, obwohl die Rogogarder behaupten, sie hätten das Flaggschiff des Tyrannen vernichtet. Die übrigen sinuredischen Truppen flüchten oder werden erschlagen.
Mitläufer, Denunzianten und Kollaborateure werden mithilfe der Bevölkerung schnell ausfindig gemacht, festgesetzt und verurteilt. Je nach Schwere ihres Vergehens müssen sie lebenslänglich Zwangsarbeit verrichten, oder sie baumeln am Strick.
Die ehemaligen Königreiche, die Sinured zu einem einzigen, gigantischen Reich zusammengefasst hatte, formieren sich wieder nach den alten Grenzen, die vor Sinureds Machtergreifung Gültigkeit hatten.
Ein eigener Kriegsrat ist ins Leben gerufen worden, der sich über das Schicksal von Sinurestan Gedanken machen soll. Der Rat hat 1. eine Entmilitarisierung auf viertausend Mann zu Wasser und zu Lande beschlossen, 2. die Reduzierung der Landfläche um ein Drittel zugunsten Aldoreels, Tarpols und Palestans sowie 3. die Umbenennung des Landes nach dem Mann, der die Seestreitkräfte Sinureds so famos überlistet hatte: Admiral Tûris aus Rogogard.
Noch ist eine Ansiedlung nicht empfehlenswert. Man sollte warten, bis die Dinge sich festigen. «
Der Inquisitor ließ das Blatt sinken. Wenn es sich hierbei wirklich um einen Augenzeugenbericht handelte, betrug das Alter der Schrift geschätzte vierhundertachtundfünfzig Jahre. So schlecht kann die Qualität des Papiers demnach nicht sein, fand er und nahm sich die
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