Die Magie Des Herrschers
eintausendeinhundertelf Stufen zu erreichen, bot diese Stelle einen unvergleichlichen Blick auf die gesamte Pracht kensustrianischer Architektur. »Nicht auszudenken, wenn dieses riesige Marmordach den Hang hinabgedonnert wäre und die Bürger der Stadt in den Tod gerissen hätte.«
»Ein Hurra auf den Hofnarren«, merkte Perdór ohne jegliche Begeisterung an. »Generationen von kleinen Kensustrianern werden aus Dankbarkeit auf deinen lächerlichen Namen hören, wenn du deine Heldentat publik machst. Die Mütter werden die Kinder durchnummerieren müssen, um Verwechselungen zu vermeiden.« Er schüttelte sich, die Augen noch immer auf den Hafen geheftet. »Welch eine grausame Vorstellung, dein Name könnte tausendfach erschallen.«
»Mir gefällt die Idee recht gut«, grinste Fiorell und gesellte sich an die Seite seines Herrn. »Heute soll es wirklich geschehen?«
»Meine Quellen, deren Vertrauen ich gewann …«
»Gekauft habt Ihr sie Euch, Majestät, gekauft. Mit Pralinen und anderem Naschwerk, das die Kensustrianer bis dahin noch nicht kannten«, fiel er Perdór ins Wort. »Ihr führt sie geradewegs in die Schokoladenabhängigkeit. Pfui, schämt Euch.«
»… haben sich nicht getäuscht«, vollendete Perdór seinen Satz. Er war die Unterbrechungen aus dem Mund des Hofnarren seit Jahren gewohnt. »Es legen zehn Schiffe ab, mit Kurs auf das Heimatland der Kensustrianer.« Eine Hand wanderte zu seiner Gürteltasche und fischte eine Praline heraus, die er sich in dem Mund schob.
»Da hat der Mensch mal ein wenig geschwitzt, und schon stopft er sich wieder mit dem süßen Zeug voll«, meckerte der Spaßmacher vorwurfsvoll.
»Glaubst du, dass ein Sturz die tausendeinhundertelf Stufen hinab tödlich wäre?«, erkundigte sich Perdór liebenswürdig und ließ das Fernrohr sinken.
Abschätzend betrachtete Fiorell die Tiefe und das Gefälle. »Vermutlich.« Dann begriff er den Grund für die Nachfrage und machte hastig einen Schritt nach hinten, weg von der ersten Stufe.
»Wir haben uns verstanden«, meinte Perdór mit einem boshaften Grinsen und widmete sich dem Geschehen im Hafen. »Nimm dir lieber dein Fernglas und beobachte mit, du Spaßpraline. Vier Augen entdecken mehr als zwei.«
»Wenn Euch der Zucker und der Kakao nicht die Pupillen getrübt haben«, brummte der Hofnarr und zückte sein Fernrohr mit einer übertriebenen Geste.
Die kensustrianischen Segler, alles kleinere, wendige und sehr windschnittige Zweimaster, verließen den schützenden Hafen und näherten sich in Keilformation der Blockadekette, die rings um die Küste lag. Sie bestand aus einigen Bombardenträgern und kleineren Segelschiffen, die jeglichen Wasserverkehr durch Beschuss und Aufbringen zum Erliegen bringen sollten.
Die Ruder des Bombardenträgers bewegten sich und drehten die schwere Galeere in eine günstigere Schussposition. Das Donnern eines ersten Warnschusses grollte zu den beiden Beobachtern hinauf, eine Fontäne spritzte eine Viertelmeile vor dem Bug des ersten Seglers in die Höhe.
»Da, Majestät!«, rief Fiorell aufgeregt. »Etwa zwanzig Säbellängen neben der Galeere schwimmt ein Algenteppich.«
»Gute Tarnung, ihr Grünhaare«, freute sich Perdór. »Damit werden die Feinde ihr Lebtag nicht rechnen.«
Der grüne Bewuchs dümpelte in den sanften Wellen und trieb scheinbar zufällig immer näher an das Kriegsschiff heran, an dem nun die Luken der Backbordseite aufklappten und die Mündungen der Bombarden erschienen.
Die kensustrianischen Segler setzten Vollzeug und fächerten auseinander.
Plötzlich entstand hektische Betriebsamkeit an Deck der Galeere, die Rumpfseite mit den ausgefahrenen Geschützen hob sich Stückchen für Stückchen. Irgendwo unterhalb der Wasserlinie musste ein Leck entstanden sein.
Eine schnell abgefeuerte Salve verfehlte ihr Ziel, die Kugeln klatschten ins Wasser, ohne Schaden anzurichten. Das Kriegsschiff drehte sich um hundertachtzig Grad, stellte sich mit dem Heck nach oben auf und versank. Das Meer um die Galeere brodelte und blubberte, als Wasser in das Schiff strömte und die Luft aus dem hölzernen Leib drückte.
Die kensustrianischen Segler passierten die Stelle mit voller Geschwindigkeit, noch ehe die anderen Schiffe der Blockadekette recht verstanden, was soeben geschehen war.
Eine palestanische Kriegskogge bekam ebenfalls Schlagseite und versank innerhalb weniger Minuten. Alle Schiffe der Kette, die längere Zeit an einem Ort ankerten, erlitten das gleiche Schicksal, nur die
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