Die Magie Des Herrschers
Neuigkeiten bringst du? Gute, oder?«
Stoiko begleitete sie ins Haus, wo ihnen ein Diener etwas zu trinken brachte.
»Perdór hat mir erzählt, dass Torben Rudgass Norina gefunden hat«, berichtete er glücklich, auch wenn sein Unterton verriet, dass der Anlass zur Freude nicht ungetrübt war.
»Das ist doch hervorragend!«, rief Soscha fröhlich und warf sich ihrem Ziehvater an die Brust. »Wo war sie denn all die Jahre? Dann wirst du sie bald wieder sehen?«
Traurig schüttelte der gealterte Mann den Kopf. »Bei den gegenwärtigen Umständen wäre es unverantwortlich, ihr oder mir eine Schiffsreise nach Rogogard zuzumuten. Wenn der Kabcar erfährt, dass sie noch lebt, wird er alles daran setzen, sie in seine Gewalt zu bringen. Hinzu kommt …« Er stockte und nahm einen Schluck Wasser. »Hinzu kommt, dass sie wohl ihr Gedächtnis verloren hat. Torben befreite sie in Jökolmur aus der Hand eines Menschen, der sie als Sklavin von Strandräubern gekauft hatte.« Seine Hand zitterte. »Wer weiß, was sie ihr angetan haben. Oder ihrem Kind, das entweder auf dem Grund des Meeres ruht oder irgendwo in Kalisstron sitzt. Es ist schrecklich, dass die Ungewissheit niemals endet.«
»Das bedeutet doch gleichzeitig Hoffnung.« Beruhigend strich Soscha über die ergrauten Haare des Mannes. »Sie wird ihr Gedächtnis vielleicht wieder finden, wenn sie dich sieht. Aber du hast Recht, in einer Zeit wie dieser wäre es ein schlechter Einfall, ins Inselreich zu segeln. Hat man denn eine Spur von den anderen, die dir so am Herzen liegen?«
Stoiko stand auf und schaute hinaus auf das Meer, als könnte er über das Wasser nach Kalisstron blicken und das Schicksal seiner verschollenen Freunde erkunden. Doch der Kontinent lag weit entfernt und geographisch an einer völlig anderen Stelle.
»Nein«, antwortete er nach einer Weile. »Torben ist mit der Kriegführung zu sehr beschäftigt, als dass er ein weiteres Mal in See stechen und sie suchen könnte. Und es gibt keinerlei Gewähr, dass die anderen ebenso überlebt haben wie Norina.« Ein kurzes, freudloses Lachen erklang. »Vielleicht ist sie besser bedient als wir alle. Was würde ich dafür geben, nichts von dem zu wissen, was in der Vergangenheit geschah und immer noch um uns herum geschieht. Da hat sie es doch wesentlich einfacher.«
Die Ulsarin erhob sich. Sie stellte sich neben den Mann und lehnte den Kopf an seine Schulter. »Es wird gewiss nicht alles so schlimm enden, wie es begonnen hat«, versuchte sie ihn aufzurichten. »Die magischen Fertigkeiten der Kensustrianer werden dem Kabcar und seiner Brut zu schaffen machen. Und bis dahin habe auch ich meine Magie im Griff, sodass ich ihnen helfen kann.
Stoiko schenkte ihr ein Lächeln. »Ich wünsche dir, dass es dir gelingt. Wenn du aber nach dem Tod des armen Sabin lieber die Finger von diesen Energien lassen willst, können wir alle es verstehen. Es ist wohl ein bisschen so, als ließe man sich mit einem dressierten Bären ein. Die Tiere sind kräftig und stark, anscheinend tanzen sie nach der Pfeife der Dompteure. Aber so manch einen haben die Pranken ohne ersichtlichen Grund ganz plötzlich erschlagen.« Ihre Blicke trafen sich, und Soscha erkannte die Sorge ihres Ziehvaters. »Niemand ist dir böse, wenn du deine Versuche beendest.«
»Es kann sein, dass ich einen Schritt weiter gekommen bin«, deutete die Ulsarin an. Vielleicht war es aber auch nur ein Traum.
Stoiko gähnte herzhaft und wischte sich über den braunen Schnauzbart. »Ich gehe zu Bett und bin bei aller Hoffnungslosigkeit Ulldrael vor dem Einschlafen erst einmal dankbar, dass er Norina unter den Lebenden weilen ließ. Er wird einen Grund gehabt haben. Ich sollte mir angewöhnen, ähnlich zuversichtlich zu denken wie du, Soscha.« Er ging zur Tür. »Es wird der Anfang einer Schicksalswende sein. Gute Nacht.«
»Gute Nacht«, erwiderte sie freundlich und nahm wieder Platz, um in aller Ruhe ihr Glas zu leeren.
Ans Ausruhen dachte sie allerdings noch lange nicht.
Sie wollte sehen, ob sich die Magie bei einem nächsten Experiment zeigen würde. Der Vergleich mit dem Tanzbären haftete in ihrem Gedächtnis.
Sollte Stoiko damit ins Schwarze getroffen haben?, fragte sie sich, lehnte sich zurück und schaute zur Decke. Wenn die Magie ihren freien Willen hat, wie würde sie handeln, wenn man sie zu etwas zwingt? Zwinge ich sie, oder bitte ich sie, wenn ich meine dilettantischen Versuche unternehme?
Soscha überlegte, wie sie aus dem »Tanzbären« Magie
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