Die Magie Des Herrschers
gefunden …«
Der Besenstiel krachte ihm gegen den Schädel, und vor seinen Augen tanzten kleine Sterne. Schon prasselte der Griff des Kehrwerkzeugs ein weiteres Mal auf ihn nieder, da erkannte Torben durch die zum Schutz erhobenen Arme die Brojakin, die mit erboster Miene auf ihn eindrosch.
Irgendwann gelang es ihm, den Stiel zu fassen. Dafür bekam er einen Tritt in die Weichteile, gefolgt von einem Haken gegen die Nase. Stöhnend sank er auf den Boden.
»Verdammt, Norina, ich bin es«, nuschelte er. »Torben Rudgass, erinnert Ihr Euch? Der Kapitän der Grazie, die Euch und die anderen aus Tularky brachte …«
»Ich weiß nicht, wovon du sprichst, Halunke«, erwiderte sie. »Verschwinde! Auf der Stelle. Die Miliz wird dich in Ketten legen, wenn sie dich erwischt.«
Verwirrt betrachtete Torben die Frau, weil er fürchtete, einer Verwechslung aufgesessen zu sein. Aber er hatte sich nicht getäuscht. Die hoch gewachsene Großbäuerin war ein wenig älter geworden, aber das Gesicht mit den hohen Wangenknochen hatte sich nicht verändert; noch immer trug sie das schwarze Haare lang, und zudem machte sie die Narbe an ihrer Schläfe unverwechselbar. Die braunen Mandelaugen ruhten aufmerksam auf ihm.
»Wenn Ihr nicht Norina Miklanowo seid, wer seid Ihr dann?«, erkundigte er sich und stand vorsichtig auf.
Nun wurde der Blick der Frau unsicher. »Ich bin … ich weiß nicht … Die Leute nennen mich Tenka.«
»Und seit wann seid Ihr hier?«
»Ich bin …« Sie griff sich mit einer Hand an die Schläfe. »Die Lijoki haben mich hierher gebracht.« Sie schaute ins Nichts und schwieg unvermittelt, während ihre Lippen sich lautlos bewegten.
Von draußen war ein lang gezogener Pfiff zu hören, das Warnzeichen, falls die Stadtwachen auftauchen sollten.
»Wir müssen gehen. Wo ist Euer Kind?«, fragte Torben ungeduldig und nahm ihre Hand. »Wir haben keine Zeit mehr.«
Hastig warf er einige ihrer Kleider und etwas Wäsche in einen großen herumliegenden Sack, packte noch ein paar Wertgegenstände als Ausgleich für seinen erlittenen Schaden ein und rannte, die seltsam apathische Brojakin im Schlepptau, die Treppen hinunter.
Widerstandslos ließ sie sich aus dem Haus führen und lief zusammen mit den Männern im Schutz der Dunkelheit zum Hafen. Ihr abwesender Blick wurde nicht klarer.
Kurz nach ihrer Ankunft legte der Zweimaster ab, und als der Angorjaner in Begleitung der Milizionäre den Hafen erreichte, fand er lediglich eine leere Mole vor.
Kapitel I
D ie Seherin spürte, dass der Zweifler ihr keinen Glauben schenkte. ›Ich sehe noch etwas‹, sagte sie zu ihm. ›Ein Mann in einer goldenen Robe will, dass du stirbst. Er hat Meuchelmörder ausgesandt, die auf dem Weg nach Tscherkass sind, um dich dort zu erwarten und dich umzubringen. Ein Geheimnis soll geschützt werden. Dein Tod soll verhindern, dass jemals irgendjemand dem Oberen auf die Spur kommt. Niemand soll beweisen können, dass er dich gesandt hatte, den Kabcar zu töten.‹
Und weil sie von Dingen sprach, die sonst niemand wissen konnte, glaubte ihr der Zweifler endlich.«
B UCH DER S EHERIN
Kapitel IX
Kalisstron, Bardhasdronda,
Winter 457/58 n. S.
K alisstra hat ihre Gnade endgültig von uns genommen. Nur die Fremdländler sind daran schuld«, hörte Lorin einen Mann zu Akrar, dem Schmied, sagen. »Und du hast den Jungen auch noch bei dir in die Lehre genommen.«
»Beruhige dich«, versuchte Akrar den Unbekannten zu beschwichtigen.
»Nein, ich denke nicht daran«, empörte sich der Mann. »Ihretwegen sind die Fischströme ausgeblieben, und die Pelzjäger klagen ebenfalls. Sie sagen, dass die Zobel und Schneemarder weniger geworden sind als in den Jahren zuvor.«
»Wenn ich wie Soini von morgens bis abends in der Kneipe säße und mich lieber am Feuer herumdrückte, als nach meinen Fallen zu schauen, hätte ich auch keine Pelze, die ich verkaufen könnte«, hielt der Schmied dagegen. »Wir wissen beide, dass Soini ein faules Stück ist, dem der Vorwand nur recht kommt, oder?«
»Aber die Fische sind weg!« Der für Lorin unsichtbare Sprecher blieb hartnäckig. »Da, nimm die Münzen und gib mir die Nägel, die ich bestellt habe.«
Der Knabe kam aus der Werkstatt, den Beutel mit den Nägeln in der Hand. »Hier, werter Herr. Da habt Ihr Eure Ware. Dreißig lange Nägel.«
Der Mann, offensichtlich ein Angehöriger der Zimmermannszunft, warf ihm einen bösen Blick zu. »Da haben wir ja den Grund für die schlechte Lage der Stadt.«
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