Die Magie Des Herrschers
»Sicher, es sind gefräßige Mitbewohner, aber gleichzeitig von erschreckend geringem Geist. Sie würden die Knochen der Opfer herumliegen lassen oder sich bei jeder passenden Gelegenheit anderen gegenüber verraten. Bisher haben wir jedoch kaum Hinweise auf die Morde, außer vereinzelte Blutspuren oder ein Kleidungsstück. Es muss eine andere, listigere Kreatur am Werk sein.« Alle Augen richteten sich auf ihn. »Was seht ihr mich so an? Ich habe mir nur meine Gedanken gemacht.«
»Das sehe ich, Pashtak. Und offensichtlich mehr als der hoheitliche Beamte, der die Fälle im Namen des Kabcar untersuchen soll«, sagte Leconuc. »Wie wäre es, wenn du ihm zur Hand gehen würdest?«
»Nein, danke. Ich muss mich schon um den Wiederaufbau der Bibliothek kümmern«, erwiderte er und hob abwehrend eine der klauenbewehrten Hände, während ihm ein leises Grummeln entfuhr.
»Es wäre wirklich das Beste, wenn sich einer aus unseren Reihen der Sache annehmen würde«, unterstützte Kiìgass den Vorschlag. »Pashtak kennt sich in der Stadt aus, er weiß um die Eigenarten der verschiedenen Mitbrüder und -schwestern, und er gehört zu denen, die von Anfang an den Aufbau geleitet haben. Ich stimme dafür, dass er unsere eigene Kommission leitet, die parallel zu den Untersuchungen des Obristen ermittelt.«
Die Arme der anderen schnellten zustimmend in die Höhe. Lakastre warf Pashtak ein schadenfrohes Grinsen zu.
»Angenommen«, verkündete Leconuc. »Ich werde mich mit der Bibliothek beschäftigen.« Eindringlich schaute er Pashtak in die gelben Augen mit der roten Pupille, die wenig Begeisterung über die neue Aufgabe verrieten. »Hiermit verleihe ich dir den Titel Inquisitor. Es ist sehr wichtig, dass wir bald zu einem Ergebnis gelangen. Die Entlarvung des Mörders hat Vorrang vor allem anderen. Ich möchte nicht, dass sich die Menschen aus den Städten der Umgebung zusammenschließen und voller Empörung hier einfallen. Da würden sich die Soldaten des Kabcar vermutlich eher ihnen anschließen, als uns zu verteidigen.«
Die »Versammlung der Wahren« löste sich auf, ohne dass auf die Proteste Pashtaks eingegangen wurde. Seine Arme sanken herab.
»Wie soll ich das Shui erklären?«, seufzte er und stützte die knochigen Wangen in beide Hände. Unglücklich schaute er aus dem Fenster, doch auch der Anblick des Säulenmonuments zu Ehren des Gebrannten Gottes mit der Kugel obenauf – eine architektonische Meisterleistung – vermochte seine Laune nicht zu heben. Etwas reflektierte die gleißenden Strahlen der Sonnen, und er schloss geblendet die Augen.
Sie haben es mit dem Polieren der Granitkugel wohl etwas übertrieben, befand er und erhob sich, um seiner Gefährtin seine neue Stellung zu beichten. Um ein Haar wäre er dabei in Lakastre hineingerannt, die unbemerkt neben ihm gestanden hatte.
»Hoppla«, meinte er und blinzelte. »Entschuldigung, ich bin noch ein wenig blind.« Er rieb sich die Augen. »Ich sollte nachts unterwegs sein.«
»Das wirst du bestimmt in nächster Zeit sehr oft sein. Ich wollte dir zu deiner neuen Stellung gratulieren«, sagte sie freundlich. »Inquisitor. Das klingt sehr gewichtig.«
»Mal sehen, was Shui davon halten wird.« Pashtak musterte die Witwe Boktors. »Du siehst hervorragend aus, Lakastre.«
»Das macht der Frühling«, erklärte sie. »Ich halte es ganz wie die Natur. Ich blühe auf, wenn die Sonnen wieder öfter vom Himmel herabstrahlen und uns mit ihrer Wärme verwöhnen.« Das Bernsteinfarbene ihrer Augen glomm schelmisch. »Zu schade, dass du wenig davon haben wirst. Die Nächte sind immer noch sehr kalt.«
»Wer sagt denn, dass der Mörder im Dunkeln unterwegs ist?«, widersprach Pashtak. »Oder war das eben beinahe ein Geständnis?« Etwas an ihr ist anders als sonst, sagte er sich im Stillen.
Die Frau lachte, ihre scharfen Eckzähne wurden sichtbar. »Nun übertreibe es nur nicht mit deinen Verdächtigungen.«
Pashtak lächelte ebenfalls; die bedrohliche Ansicht seines Kiefers und der entblößten Beißwerkzeuge erzielte jedoch keinerlei einschüchternde Wirkung bei Lakastre. »Wie geht es deiner Tochter? Hat sie den Tod ihres Vaters überwunden?«
Die Frau wurde ernst, das warme Feuer um ihre Pupillen erlosch. »Dass Boktor ausgerechnet jetzt, wo wir die Sümpfe beinahe ausgerottet haben, wie sein Bruder Boktar am Fieber sterben musste, ist schon mehr als grausame Ironie. Das versteht sie nicht. Doch dass man den Tod nicht umgehen kann, hat sie inzwischen
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