Die Magier 01. Gefährten des Lichts - Six héritiers (Le Secret de Ji, Bd. 1)
Tradition, deren Hüterin Corenn war, verpflichtete sie, an allen Versammlungen teilzunehmen. Doch ihre Meinung war nur selten gefragt, da sich der Rat der Dörfer nur mit der Nahrungsversorgung, dem Handel, der Sicherheit oder anderen Alltagsfragen befasste. Seit fünfzehn Jahren bekam sie die immer gleichen Klagen zu hören.
Sie wartete geduldig, hob die Hand, wenn es zu einer Abstimmung kam, und runzelte die Stirn, wenn eine junge Ratsfrau einer älteren gegenüber zu sehr die Stimme erhob. Meist genügte dies, um die Gemüter zu beruhigen. Endlich verlas die Mutter der Erinnerung die Entscheidungen und offen gebliebenen Fragen, und die Vertreterinnen der Dörfer verließen den großen Versammlungssaal.
Nur sechzehn Frauen blieben zurück. Der Ständige Rat würde nun die wichtigen Fragen debattieren, die im Rat der Dörfer zur Sprache gekommen waren, und die Angelegenheiten des Staats und seiner Nachbarn erörtern.
Früher hatte Corenn regelmäßig Bericht über ihre Suche nach Magierinnen und Magiern erstattet, doch inzwischen interessierte sich niemand mehr so richtig dafür. Deshalb begannen sie gleich mit der Außenpolitik.
Das Gerede über Handel, Steuern und Ränkespiele zwischen den Königreichen und Staaten langweilte sie noch mehr als der Zank und Streit der Dörfer. Die Debatte zog sich in die Länge.
Schließlich berichtete die Mutter der Außenpolitik stolz vom endgültigen Abschluss des Friedensvertrags mit Romin, und die Ratsfrauen applaudierten und beglückwünschten sie. Auch wenn Romin wegen seiner schwachen Armee die Bezeichnung ›Hohes Königreich‹ schon längst nicht mehr verdiente, war es klug, auf gute Nachbarschaft zu achten.
Als Nächstes sprachen die Mütter über die Zunahme des Schiffverkehrs und die Überlastung der Häfen, eine Frage, die im Rat der Dörfer aufgekommen war. Die Mütter begannen mit der Ausarbeitung eines Gesetzesentwurfs, stellten aber rasch fest, dass sie nicht genug über die Angelegenheit wussten. Sie beschlossen, eine Studie in Auftrag zu geben und eine Expertin zu befragen. Die Mutter der Erinnerung wurde damit betraut, die Sache weiterzuverfolgen. Sobald Ergebnisse vorlägen, würde sich der Rat erneut mit dem Problem befassen.
Da es schon spät war und die wichtigsten Fragen geklärt waren, schlug die Große Mutter vor, alles Weitere auf die nächste Dekade zu vertagen. Erleichtert stimmten die Ratsfrauen zu. Die beiden Versammlungen hatten sich vom dritten bis zum sechsten Dekant hingezogen, und alle waren müde.
Corenn sammelte gerade ihre Papiere ein, als Wyrmandis, die Mutter der Justiz, auf sie zukam.
»Du kennst doch Xan, den Holzschnitzer aus Partacle, oder?«
Sie kannte ihn sogar gut. In diesem Jahr hatte er es übernommen, die Zusammenkunft der Erben zu organisieren. Er und Corenn schrieben sich regelmäßig, und sie mochte den sanften, klugen Mann. Er war einer der wenigen, die magische Kräfte nicht für eine grässliche Missbildung hielten, sondern für eine Gabe. »Ja, ich kenne ihn. Woher weißt du das?«
»Es tut mir leid, dir das sagen zu müssen, aber er ist tot.« Corenn war wie vor den Kopf geschlagen. Beklommen ließ Wyrmandis ihr einen Moment Zeit, obwohl sie es eilig hatte, die Fragen zu beantworten, die Corenn ihr gewiss stellen würde. »Wo ist es geschehen?«
»Zu Hause. Seine Frau und seine Kinder sind ebenfalls tot. Es tut mir leid«, wiederholte sie.
Ermeil auch. Richa. Garolfo. Und wie hieß der Jüngste noch? Es fiel ihr nicht ein. Tot. Alle tot.
»Sie haben nicht gelitten. Ich glaube, sie schliefen, als es passierte. Aus Goran kam die Nachricht, sie seien vergiftet worden.«
Corenn musste schlucken. Ihre Stimme war nicht mehr als eine Flüstern. »Vergiftet? Sie wurden ermordet?«
»Ja. Um genau zu sein …« Wyrmandis zog sie beiseite und senkte die Stimme. »Höchstwahrscheinlich waren es Züu. Deshalb hat man mich benachrichtigt.«
Jetzt verstand Corenn. Die Züu waren seit Jahrzehnten nicht mehr in Kaul gesehen worden, und alle hofften inständig, dass es dabei blieb. Die Mutter der Justiz hatte die Aufgabe, die Untaten der Mörder überall auf der Welt zu verfolgen.
»Warum? Warum haben die Züu Xan und seine Familie getötet? Wem könnte das nützen?«
»Ich weiß es nicht. Ich hatte gehofft, du könntest es mir sagen. In Goran stellt man sich die gleiche Frage. In letzter Zeit haben die Züu in mehreren Ländern Morde begangen, und anders als sonst waren die Opfer keine Edelleute, Priester oder reichen
Weitere Kostenlose Bücher