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Die Magier 01. Gefährten des Lichts - Six héritiers (Le Secret de Ji, Bd. 1)

Titel: Die Magier 01. Gefährten des Lichts - Six héritiers (Le Secret de Ji, Bd. 1) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pierre Grimbert
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schon.«
    Mit einem letzten teilnahmsvollen Blick gehorchte Rimon. Manchmal meinte Lana, in den Augen des Novizen mehr als Achtung und Freundschaft zu lesen. Doch sie wussten beide, dass sie die Grenze nie überschreiten würden.
    Sie erhob sich und ging in ihrer kleinen Zelle auf und ab. In dem kargen, schmucklos eingerichteten Zimmer hatte sie sich immer wohlgefühlt, und das Schönste war der Blick aus dem Fenster. Die Sonne des Mit-Tag spiegelte sich auf dem Wasser des Alts, ließ die unzähligen Kuppeln und Türme der Heiligen Stadt erstrahlen und wärmte die Hänge des Rideau-Gebirges. Ith war eine wunderschöne Stadt. Ruhig, friedvoll und scheinbar gefeit vor den Barbareien des Rests der bekannten Welt.
    Lana schloss die Augen und murmelte ein stummes Gebet. Weise Eurydis, warum diese erneute Prüfung? Hatte sie nicht schon genug gelitten?
    Die Geschehnisse des Morgens stürmten abermals auf sie ein. Sie hatte ihre Schüler um sich versammelt, um mit ihnen über Geld und Habgier nachzudenken, ein Thema, das ihr besonders am Herzen lag, da selbst die Weisesten unter den Weisen die grassierende Bestechlichkeit nicht länger ignorieren konnten. Die Gruppe hatte sich wie üblich in den Gärten am Fuße des Blumenbergs niedergelassen und einschlägige Beispiele aus religiösen Quellen studiert.
    Ihr Unterricht stand allen offen, und es kam häufig vor, dass sich ein Fremder aus Neugier oder Wissensdurst zu den Schülern des Tempels gesellte. So fand es niemand ungewöhnlich, als sich ein junger Mann ohne Maske zu ihnen setzte. Er trug das Gewand eines Novizen.
    Der Fremde schwieg und lauschte den Rednern. Lana entging nicht, dass er den Frauen besondere Aufmerksamkeit schenkte. Am Morgen hatte sein Verhalten nur ihre Neugier geweckt, doch nun kannte sie den Grund …
    Als der Fremde sicher war, wer von ihnen die Lehrerin war, erhob er sich mit der Geschmeidigkeit eines Raubtiers und zog einen Dolch.
    Er schnellte auf sie zu.
    Der junge Mann mit dem stechenden Blick und dem unbeirrbaren Willen hatte sie töten wollen.
    Lana machte keine Anstalten, sich zu wehren, und sie würde nie verstehen, warum. Die Zeit schien plötzlich langsamer zu vergehen, und sie sah überdeutlich, wie der Mörder auf sie zukam. Ihr einziger Gedanke war, dass ihr irdisches Dasein nun zu Ende war.
    Glücklicherweise, nein, unglücklicherweise waren ihre Schüler ihr zur Hilfe gekommen und hatten ihr das Leben gerettet.
    Sie spürte, wie ihr endlich Tränen über die Wangen rannen. Niemand verdiente ein solches Opfer.
    Vier ihrer Schüler waren gestorben, nur weil der tödliche Dolch sie berührt hatte. Vier junge Menschen, die Gewalt verabscheut hatten, fast noch Kinder, die sich nichts sehnlichster wünschten, als ihr Leben Eurydis zu widmen.
    Lopan, Vascal, Durenn.
    Orphaela.
    Lana ließ ihren Tränen freien Lauf. Die arme Orphaela, sie war noch so jung und unschuldig gewesen. Der Mörder hatte sein Scheitern tragischerweise erst erkannt, als die junge Novizin, die sich ihm in den Weg geworfen hatte, bereits tot war.
    Von mehreren Händen und Armen zu Boden gedrückt, hatte er keinen Ausweg mehr gesehen, als sich die tödliche Waffe selbst ins Herz zu stoßen. Ihre Schüler hatten noch versucht, sie ihm zu entwinden.
    Als Lana in ihrer Zelle zu sich gekommen war, hatte Rimon auf ihrer Bettkante gesessen. Sie erinnerte sich nicht einmal daran, ohnmächtig geworden zu sein. Er berichtete ihr das Wenige, was es zu erzählen gab. Tempelwächter hatten die Schaulustigen fortgeschickt und die Schüler nach Hause geleitet. Man würde sie befragen und für eine Weile unter Schutz stellen.
    In Ith nahm man es mit dem Gesetz sehr genau.
    Es klopfte dreimal. Lana straffte die Schultern und ging zur Tür. Selbstmitleid galt im Eurydis-Kult nicht als Tugend.
    Ein alter Mann blickte ihr mitfühlend entgegen. Er war klein und dürr, trug ein schlichtes, abgetragenes Gewand, keine Maske und war barfuß. Emaz Drékin.
    »Eure Exzellenz«, begrüßte sie ihn und bat ihn herein.
    »Ach, Lana. Das ist nun wirklich nicht der richtige Moment für Umgangsformen«, schalt er sie liebevoll und zog sie in seine mageren Arme.
    Schluchzend gab sie sich der Umarmung hin.
    Dann traten sie zurück, und Lana schloss die Tür.
    »Möchtet Ihr einen Tee?«, fragte sie und rang um Fassung.
    »Ein andermal, mein Kind, ein andermal. Erst müssen wir etwas Wichtiges besprechen.«
    Lana nickte, setzte sich auf die Bank am Tisch und bedeutete dem Emaz, es ihr gleichzutun.

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