Die Magier 01. Gefährten des Lichts - Six héritiers (Le Secret de Ji, Bd. 1)
hatte das Krummschwert in den Boden gerammt und spannte mit aller Kraft seinen Bogen, der noch größer war als Yans. Er hätte am liebsten gewartet und dem Krieger auf die Finger geschaut, doch damit hätte er sich sofort verraten. Er zog einen Pfeil aus dem Köcher, legte sich auf den Bauch und versuchte, die Sehne zu spannen.
»Nicht im Liegen! Was zum Teufel tust du da?«
Hastig rappelte sich Yan hoch, bemüht, ein unbekümmertes Gesicht zu machen. Grigán durfte auf keinen Fall merken, dass er noch nie einen Bogen in der Hand gehabt hatte.
Verstohlen beobachtete er seinen Gefährten und ahmte dessen Bewegungen nach. Den Pfeil zwischen zwei Finger nehmen, den Arm strecken … Bei Grigán sah es kinderleicht aus.
»Du schießt nur, wenn ich schieße. Dann legst du einen neuen Pfeil ein und wartest auf meinen Befehl.«
Grigán zielte auf den Reiter und folgte ihm mit der Pfeilspitze über mindestens hundertzwanzig Schritte, bis der Mann hinter einer Wegbiegung verschwunden war. Erst als das Hufgeklapper verklungen war, entspannte er sich. Auch Yan ließ den Bogen sinken.
»Dort drüben! Schieß!« Der Schrei des Kriegers gellte ihm in den Ohren.
Yan wirbelte herum, spannte den Bogen, suchte das Ziel, meinte, etwas zu sehen, und ließ den Pfeil los. Die Sehne schürfte ihm den Unterarm auf, und der Pfeil fiel in einem jämmerlich kurzen Bogen zu Boden. Fieberhaft suchte Yan die Büsche ab, doch er sah nichts.
Den Schlag gegen den Kopf, den Grigán ihm verpasste, spürte er dafür umso deutlicher.
»Du hast noch nie einen Bogen in der Hand gehabt! Wag es nicht noch einmal, mich anzulügen!«
Wut und Scham wallten in Yan auf. Sein Gesicht wurde rot wie eine Lubilie, und er schämte sich noch mehr für seine Durchschaubarkeit. »Seid Ihr verrückt? Ihr habt mich zu Tode erschreckt! Es hätte sonst was passieren können. Ich hätte jemanden töten können!«
»Wenn man mit seiner Waffe umgehen kann, passiert so etwas nicht«, entgegnete der Krieger ungerührt. »Du hättest mich nicht anlügen dürfen.«
Angesichts des ruhigen Tons und der vernünftigen Argumente Grigáns verflog Yans Wut so schnell, wie sie gekommen war, nicht aber seine Scham. Er fühlte sich wie ein Kind, das man bei einem dummen Streich ertappt hatte.
»Ich muss einfach wissen, woran ich bin. Wenn es tatsächlich zu einem Kampf gekommen wäre, hättest du dich selbst, mich und damit auch die anderen in Gefahr gebracht.«
»Ihr habt recht. Ich hätte Euch nicht belügen dürfen.«
»Gut. Für mich ist die Sache damit geklärt. Und jetzt lass uns sehen, was wir für dich tun können.«
Er hob den Pfeil auf, erklärte, wie man den Bogen hielt, und demonstrierte es. Yan hörte aufmerksam zu, und als Grigán es ihm befahl, gab er einen Schuss ab.
Der Pfeil flog ein ganzes Stück geradeaus, und die Sehne schrammte ihm nicht mehr den Arm auf.
»Für den Anfang gar nicht so übel. Jetzt musst du nur noch zielen lernen, aber dabei kann ich dir nicht helfen.«
»Ich werde üben, bis Ihr Euch nicht mehr traut, gegen mich anzutreten«, scherzte Yan, um seinen guten Willen zu zeigen.
Sie machten sich auf den Rückweg. Yan kam sich immer noch klein und dumm vor, hatte aber etwas Vertrauen zu Grigán gefasst. Offensichtlich wollte der wortkarge Krieger sie tatsächlich nur beschützen.
Léti kam ihnen entgegengerannt: »Wo wart ihr so lange? Was ist passiert?«
»Nichts. Es ist alles in Ordnung.« Grigán war nicht danach, sich mit langen Erklärungen aufzuhalten.
»Grigán hat mir beigebracht, wie man mit dem Bogen schießt. Es ist schwieriger, als ich dachte, aber wenn man den Dreh erst einmal raus hat, klappt es ganz gut.«
»Wie schön für dich. Ich wünsche dir viel Spaß mit deinem Männerspielzeug.«
Mit diesen Worten ließ sie ihn stehen.
Yan war wie vor den Kopf geschlagen. Er hatte sich schon oft mit Léti gestritten, aber bislang hatte er immer gewusst, warum. Was war bloß los mit ihr?
Vielleicht war sie wütend, weil er sich für eine Waffe interessierte, für etwas, mit dem man andere Menschen töten konnte. Ja, genau: Sie verachtete Männer, weil diese nichts anderes im Kopf hatten, als einander umzubringen.
Nein, das konnte es nicht sein. Vorhin hatte sie kaltherzig vorgeschlagen, Grigán solle den Reiter töten.
Er trat einen zögerlichen Schritt vor, blieb dann aber unschlüssig stehen. Was sollte er ihr sagen? Wenn sie in einer solchen Laune war, dann waren alle Versöhnungsversuche vergebens. Es wäre besser zu
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