Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Magier 02. Krieger der Dämmerung - Le Serment orphelin (Le Secret de Ji, Bd. 2)

Titel: Die Magier 02. Krieger der Dämmerung - Le Serment orphelin (Le Secret de Ji, Bd. 2) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pierre Grimbert
Vom Netzwerk:
antworten, und Wasser drang hinein. Er hatte vergessen, wo er sich befand. Instinktiv spuckte er aus und wunderte sich, dass kein Wasser in seine Lunge gedrungen war. Dann ging ihm auf, dass er unter Wasser atmen konnte, obwohl das allen Naturgesetzen widersprach.
    ›Könnt Ihr mich hören?‹, dachte er und kam sich lächerlich vor. ›Bewahrt Ihr mich vor dem Ertrinken?‹
    ›Natürlich. Hast du etwa die Macht dazu? Natürlich nicht. Die Welt mag mir nicht offen stehen, aber an diesem Ort herrsche ich. Deshalb musst du aufpassen, mich nicht zu verärgern.‹<
    Yan konnte es immer noch nicht fassen. Er sprach tatsächlich mit einem Gott. Das Gefühl war überwältigender als alles, was er je erlebt hatte. ›Wo seid Ihr?‹
    ›Du willst mich sehen? Meist bereuen die Menschen diesen Wunsch. Willst du mich tatsächlich sehen?‹
    ›Ja.‹
    ›Gut! Das wird amüsant.‹
    Das Wasser wurde heller und heller, aber Yans Blick blieb seltsam trüb. Er fragte sich, ob Licht in die Höhle fiel oder sich einfach nur seine Wahrnehmung veränderte. Doch was spielte das schon für eine Rolle?
    Die Felswände leuchteten golden, als bestünden sie aus dem Edelmetall. Wie Yan erwartet hatte, mündete der Krater tatsächlich in eine unterirdische Höhle. Sie schien den gesamten Berg auszufüllen, aber da Yan nur verschwommen sah, konnte er das nicht genau sagen. Auf der Suche nach Usul ließ er seinen Blick schweifen.
    Erst dachte er, es gebe keine Lebewesen in der Höhle, aber dann sah er in der Ferne einen kleinen Fisch. Er sah sich noch einmal um, entdeckte aber sonst nichts. Yan beobachtete den Fisch, der immer näher kam, und stieß einen stummen Schrei aus, der in dem Wasser verhallte.
    Der Fisch war in Wirklichkeit riesig und grauenvoll: ein zehn Schritte langer Talantenhai. Der Raubfisch schwamm auf ihn zu und wich erst im letzten Moment aus. Yan erstarrte vor Entsetzen.
    ›Haie leben nicht im Süßwasser!‹, rief er in Gedanken.
    ›Dann muss ich wohl über gewisse Kräfte verfügen‹, antwortete Usul spöttisch.
    Yan zwang sich zur Ruhe. Anscheinend hatte der Gott nicht vor, ihn zu töten, jedenfalls nicht sofort.
    ›Ist das Eure richtige Gestalt?‹
    Der Gott ließ sich Zeit mit der Antwort. ›Stellst du mir diese Frage tatsächlich?‹
    ›Wie meint Ihr das?‹
    ›Durch den Willen der Menschen bin ich Usul, der Wissende‹, sagte der Gott monoton. ›Ich kenne das Schicksal, bevor es sich erfüllt. Doch mein Wissen hat einen Preis. Wenn du Antworten willst, musst du sie dir verdienen.‹
    ›Wie das?‹, fragte Yan beunruhigt.
    ›Indem du für meine Zerstreuung sorgst. Ich leide unter der schlimmsten Langeweile, die je ein denkendes Wesen gekannt hat. Die Zeit ist mein grausamster Kerkermeister. Ich sehe, wie sich die Augenblicke und Tage aneinanderreihen, und warte darauf, dass geschieht, was ich vorhergesehen habe. Nur die Menschen, die mich aufsuchen, sorgen für ein wenig Abwechslung.‹
    Jetzt zog der Haifisch Kreise um ihn. Yan vergewisserte sich verstohlen, dass der Knoten des Seils sich nicht gelockert hatte.
    Usul fuhr fort: ›Nur wer sein Schicksal kennt, kann es verändern. Nur wer sein Schicksal kennt, handelt unvorhersehbar. Und das Unvorhersehbare bringt Abwechslung. Deshalb gebe ich dir auf jede deiner Fragen zwei Antworten. Die zweite verrät dir etwas über deine Zukunft.‹
    ›Wie kann sich die Zukunft verändern, wenn Ihr sie bereits vorhergesehen habt?‹
    ›Weil deine Zukunft ungewiss wird, sobald ich sie dir enthülle. Manchmal führt man ein Ereignis herbei, indem man es um jeden Preis verhindern will. Oder man verhindert es, indem man alles daransetzt, dass es geschieht. Außerdem ist mir mein eigenes Schicksal unbekannt. Ich sah deinen Besuch voraus, aber ich weiß nicht, wie er ausgehen wird. Als du zu mir kamst, legte sich ein Nebelschleier über die Zukunft, über deine, über meine, über die deiner Freunde und sogar über die eines großen Teils der bekannten Welt.‹
    ›Und wenn ich nichts tue? Wenn ich handele, als wäre nichts geschehen, trotz Eurer Prophezeiungen?‹
    ›Man kann nicht nichts tun. Sobald du die Zukunft kennst, ändert sich dein Verhalten. Nichts tun ist auch eine Handlung.‹
    Yan versuchte, Ordnung in seine Gedanken zu bringen. Er musste sich gut überlegen, welche Fragen er stellen wollte, denn er fürchtete sich vor dem Fluch des übermenschlichen Wissens, dessen Ausmaß er soeben erst begriffen hatte.
    ›Ich habe die Regeln verstanden‹, sagte er.

Weitere Kostenlose Bücher