Die Magier 02. Krieger der Dämmerung - Le Serment orphelin (Le Secret de Ji, Bd. 2)
Lehrjunge, aber er brachte mir nur die Regeln der Bruderschaft bei. Zum Beispiel die, niemals in die Gedanken eines Menschen einzudringen.«
Corenn fragte sich, ob diese Regel auf dem Aberglauben der Arkarier beruhte oder ob sie aufgestellt worden war, um die Kraft der Erjaks geheim zu halten. Da sie wusste, wie abergläubisch die Völker des Weißen Landes waren, war Ersteres wahrscheinlicher. Aber letztlich war das auch nicht weiter richtig …
»Du könntest die Gedanken der Züu lesen?«
»Ja. Besser gesagt, die eines Zü, und das auch nur ein einziges Mal. Derjenige, in dessen Geist ich eindringe, merkt es sofort und weiß auch gleich, wer der Eindringling ist. Bei so etwas werden die sanftmütigsten Menschen fuchsteufelswild. Bei Tieren ist das nicht anders.«
»Aber wie … Wie kannst du die Gedanken lesen? In welcher Form erscheinen sie dir?«
»Das kann ich nicht genau erklären. Wenn jemand schläft, folge ich ganz einfach seinen Gedanken. Es ist, als sähe ich durch seine Augen. Tieren schicke ich meistens kurze Sätze oder einfache Bilder. Aber bei einem wachen Menschen … So etwas habe ich erst ein einziges Mal getan, und es ging alles ganz schnell. Ich schätze, wir müssen ihn dazu bringen, an das zu denken, was uns interessiert. Sonst finde ich nur Wirrwarr vor. Versteht ihr?«
»Lass es uns ausprobieren. Wärst du damit einverstanden?«, fragte Grigán.
Falls der Versuch gelang, würde sich Grigán vielleicht dazu überreden lassen, in den Kleinen Palast zurückzukehren. Den Züu gegen ihren Willen Informationen zu entreißen, wäre ihm eine große Freude!
»Ich melde mich freiwillig«, verkündete Rey.
»Ich auch«, sagte Léti eilig.
»Dann lasse ich dir gern den Vortritt«, sagte der Schauspieler. »Meine Gedanken sind sicher schlecht geschrieben und unleserlich.«
Von allen Gefährten gefiel Bowbaq die Idee am wenigsten. Seine Erziehung sagte ihm, dass ihr Vorhaben sehr, sehr unhöflich war. »Versprich mir, dass du nicht wütend wirst«, bat er.
»Natürlich nicht.« Léti zuckte die Schultern. »Schließlich melde ich mich freiwillig. Es macht mir nichts aus.«
»Denk an etwas Bestimmtes«, sagte Corenn. »Einen Gegenstand, einen Namen, irgendetwas Einfaches.«
Léti nickte und überlegte kurz. Sie beschloss, an den Stehschläfer zu denken, den sie einige Jahre zuvor bei sich aufgenommen hatte. »Ich bin bereit.«
»Dann fange ich jetzt an«, sagte der Riese verzagter, als er wollte.
Im nächsten Moment war er bei Léti, in ihren Gedanken. Er hatte ganz vergessen, wie einfach die Begegnung bei Menschen war.
Sie sträubte sich instinktiv gegen den Eindringling, aber er hatte mit nichts anderem gerechnet. Bowbaq hatte schon genug gesehen.
»Du hast an einen Stehschläfer gedacht und … an Yan?«, sagte er fragend.
Léti ließ sich mit der Antwort Zeit. Es war unangenehm gewesen, sehr unangenehm. Jetzt begriff sie, warum jemand, dem so etwas ohne Vorwarnung passierte, zornig wurde. »Stimmt«, sagte sie dann. »Stimmt genau.«
Es gab keinen Grund, dem Riesen zu widersprechen, und es würde sie viel zu viele Erklärungen kosten.
Zumal er recht hatte.
Bowbaq weigerte sich, die Übung bei jemand anderem zu wiederholen. Wenn man die Gedanken eines Menschen las, drang man in sein Innerstes ein, und das war mehr als unhöflich.
Trotzdem war der Versuch überzeugend gewesen, und so waren sich die Erben rasch einig: Sie würden in den Kleinen Palast zurückkehren und den Züu ihr Geheimnis stehlen.
Sie würden eine weitere Dekade in Rajis Keller verbringen müssen, denn einen sichereren Ort gab es nicht. Dieses Mal würden sich Corenn, Grigán und Bowbaq in noch größere Gefahr begeben als bei ihrem ersten Besuch im Kleinen Palast. Die Züu rechneten mit ihrem Kommen und würden sich nicht überrumpeln lassen, zumal ihre Oberen ihnen gewiss Befehle erteilt hatten.
Wie das Treffen auch ausgehen mochte, sie würden Lorelia gleich danach verlassen müssen, was sorgfältige Vorbereitungen erforderte. Grigán machte sich daran, einen Plan auszutüfteln.
Das Warten wurde ihnen jedenfalls nicht lang. Sehr zu Létis Freude verbrachte Yan den ganzen ersten Tag mit ihr, ermutigt von Corenns Worten und dem, was Bowbaq in Létis Gedanken gelesen hatte. So mussten die Ratsfrau und Grigán vorerst darauf verzichten, ihre Schüler zu unterrichten. Corenn konnte es kaum erwarten, alle in das Geheimnis einzuweihen.
Rey bestürmte Bowbaq mit Fragen, bis dieser bereit war, ihm das Gedankenlesen
Weitere Kostenlose Bücher