Die Magier von Shannara 1 - Das verbannte Volk
wusste, welche Gefühle er ihr gegenüber hegte. Für ihn stellte sie weiterhin die Ilse-Hexe dar, und daran würde sich nichts ändern. Er fürchtete sich vor ihr, gleichgültig, welche Mühe sie aufwandte, ihn zu überzeugen, dass sie schon lange nicht mehr das Geschöpf des Morgawrs war. Mochte sie ruhig behaupten, die Ard Rhys des Dritten Druidenrates zu sein, so sah er doch stets etwas anderes in ihr. Weil er seine alten Gewohnheiten nicht ablegen konnte, beherrschte Furcht sein Denken. Dementsprechend würde er nach einer Möglichkeit suchen, sie auszulöschen.
Das nahm sie ihm nicht einmal übel. Schon immer hatte er nach einer solchen Möglichkeit gesucht, bereits, als sie sich zum ersten Mal vor fast fünfundzwanzig Jahren zusammengeschlossen hatten. Auf diese Weise ging Sen Dunsidan mit Verbündeten und Feinden gleichermaßen um - er nutzte sie aus, wie er nur konnte, und suchte derweil nach einem Weg, sie auszuschalten, nachdem sie ihren Zweck erfüllt hatten. Das bedeutete oftmals ihre Vernichtung. In einigen Fällen hatte er diese Taktik erfolgreich umgesetzt, sie hatte er jedoch nie zuvor bedroht. Er besaß nicht die Mittel, ihr Schaden zuzufügen, da er weder über Magie noch über die entsprechenden Verbündeten verfügte. Allein brachte er gar nichts zustande.
Im Augenblick stellte er für sie die kleinste Sorge dar. Andere und wesentlich gefährlichere Feinde beschäftigten sie, die von ähnlich starken Motiven getrieben wurden, sie zu beseitigen, und die sich zudem in ihrer Nähe bewegten.
Daran dachte sie nicht gern. Sie hatte so viel Mühe aufgewandt, um den Druidenorden neu zu gründen, und jetzt hatte er sich zu einem Schlangennest entwickelt. Das hatte sie weder beabsichtigt noch vorhergesehen, trotzdem war es so gekommen. Kermadec hatte Recht. Mit jedem verstreichenden Tag wurde ihre Position geschwächt, und wenn ihre Autorität weiterhin so ausgehöhlt wurde, verlor sie bald vollständig die Kontrolle. Dann wäre sie gescheitert, und allein den Gedanken konnte sie nicht ertragen.
So richtete sie ihre Aufmerksamkeit wieder auf Sen Dunsidan und die anstehenden Probleme des morgigen Treffens. Sie strebte einen Waffenstillstand zwischen der Föderation und den Freien an, der mit einem teilweisen Abzug der Truppen verbunden sein sollte. Damit wollte sie dem Frieden eine Chance geben. Doch keine Seite zeigte viel Interesse an diesem Vorschlag, was ihr unvorstellbar erschien, denn schließlich dauerte der Konflikt bereits fünfzig Jahre. Die Urheber des Streits waren zum größten Teil längst tot und begraben. Und ihre Nachfolger hatten möglicherweise gar keine rechte Ahnung, unter welchen Umständen der Krieg seinerzeit ausgebrochen war.
Was auch niemandem besonders wichtig zu sein schien, dachte sie düster. Der Krieg rechtfertigte sich allzu oft allein durch sich selbst.
Mit einem Klopfen an der Tür kündigte sich Tagwen an, und sie bat ihn herein. Der Zwerg schlurfte zum Schreibtisch und legte dort die Bücher ab, mit denen er beladen war. Es handelte sich um die Hinterlassenschaften ihrer vorigen Bemühungen, Sen Dunsidan und die Föderation zum Einlenken zu bewegen. Tagwen betrachtete den Stapel hilflos und schaute dann sie an.
»Hat er sich in seinen Gemächern eingerichtet?«, erkundigte sie sich.
»Recht bequem. Sollte er es zumindest haben. Er hat die besten Zimmer im Keep.« Tagwen mochte Sen Dunsidan nicht, und dies gab er ihr deutlich zu erkennen, allerdings sonst niemandem. »Ich habe ihn seinem Bier und seinen Gedanken überlassen. Eher Ersterem und weniger Letzterem, wenn mich nicht alles täuscht.« Ungewollt lächelte sie, erhob sich und reckte sich. »Sind alle für die morgigen Treffen unterrichtet?« Er nickte. »Ihr trefft Euch nach dem Frühstück unter vier Augen mit dem Premierminister, dann wird er vor dem gesamten Rat sprechen, anschließend folgt ein Treffen mit einigen ausgewählten Teilnehmern - die Ihr alle kennt und die sich untereinander kennen -, ehe Ihr Euch mit ihm zu ernsthaften Verhandlungen zusammensetzt, die vermutlich wieder einmal nicht zu greifbaren Ergebnissen führen.«
Sie blicke ihn streng an. »Danke für die Aufmunterung. Was würde ich ohne deinen Optimismus tun?«
»Ich ziehe die Realität dem Wunschdenken vor«, erwiderte er und schnaubte, ohne ihrem Blick auszuweichen. »Für Euch wäre es auch besser, wenn Ihr Euch gelegentlich daran halten würdet. Und damit meine ich nicht nur Euer Treffen mit dem Premierminister.«
»Hast du
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