Die Magier von Shannara 1 - Das verbannte Volk
dich mal wieder mit Kermadec ausgetauscht?«
»Der Maturen sieht die Dinge wesentlich klarer als andere. Er verschwendet keine Zeit darauf, Streit zu schlichten, wenn er es für vergebliche Liebesmüh hält. Ihr solltet auf ihn hören.«
Sie nickte. »Ich höre auf ihn. Nur kann ich leider nicht immer seine Ratschläge beherzigen. Das weißt du.« Einen Augenblick lang entgegnete Tagwen nichts, sondern betrachtete den Stapel von Dokumenten auf dem Tisch und das nur halb verzehrte Essen daneben, das auf dem Teller kalt geworden war. »Er möchte wissen, ob Ihr schon entschieden habt, wann Ihr aufbrechen wollt?« Tagwen wandte den Blick wieder ihr zu. »Und ich möchte wissen, wohin Ihr aufbrechen werdet.«
Sie trat ans Fenster und schaute hinaus zum mondhellen Himmel. Ihre Gemächer im hohen Turm befanden sich so weit über dem Wald, der den Keep umgab, dass die Bäume wie ein schwarzer Ozean erschienen, der sich bis zu den Drachenzähnen erstreckte. Sie hatte sich entschieden, zum Hadeshorn zu ziehen, um dort den Rat von Walkers Schatten bezüglich dessen einzuholen, was sie in den Ruinen des Schädelreiches beobachtet hatte. Schatten gaben zwar nicht immer direkte Antworten auf derartige Fragen, aber manchmal gewährten sie doch gewisse Einsichten. Hinter diesen Feuern, die von Luft genährt wurden, und diesen seltsamen Lichtblitzen musste etwas oder jemand stehen, und die daran beteiligte Magie stammte aus einer Quelle, die sie nicht erkannte. Walkers Schatten wäre vermutlich bereit, ihr wenigstens darüber einiges zu sagen. Da Kermadec diese Angelegenheit hinter sich bringen und sie dabei beschützen wollte, hatte er ihr angeboten, sie zu begleiten. Über seine Gesellschaft freute sie sich.
»Sobald der Premierminister abgereist ist«, antwortete sie. »Ich möchte annehmen, er wird nicht länger als bis morgen Nacht bleiben. Zu dem Zeitpunkt wird alles gesagt sein.«
»Es ist längst alles gesagt«, wandte Tagwen ein.
»Vielleicht muss man es noch einmal sagen.«
Der Zwerg deutete auf die Tür. »Draußen wartet Traunt Rowan. Er möchte mich Euch sprechen. Ich habe ihm gesagt, heute Abend hättet Ihr keine Zeit, aber er ließ sich nicht abwimmeln.«
Sie nickte. Ein weiterer Stachel am Dornenstrauch der Druiden. Zwar mochte sie Rowan und bewunderte seinen Willen zu harter Arbeit, doch konnte er sie nicht leiden, wie sie wusste. Manchmal fragte sie sich, weshalb er sie nicht ausstehen konnte, allerdings hatte sie nie mit ihm über dieses Thema geredet. Wenn sie mit allen, die sie nicht mochten, über die Gründe dafür sprechen würde, hätte sie keine Zeit mehr für andere Dinge. Es schmerzte sie, dass so viele im Orden ihren Groll gegen sie nicht überwinden konnten. Andererseits sagte das natürlich auch etwas über die Entschlossenheit aus, mit der sie hergekommen waren, um trotzdem zu studieren. »Schick ihn herein«, sagte sie. »Ein paar Minuten kann ich für ihn erübrigen.«
Wortlos ging Tagwen hinaus, warf ihr jedoch an der Tür einen Blick zu, mit dem er kundtat, dass sie seiner Meinung nach einen Fehler beging. Sie lächelte. Das wäre nicht ihr erster.
Sie betrachtete sich in dem Spiegel, der an der Tür hing, um sich zu vergewissern, ob sie so spät am Abend noch vorzeigbar war. Oder vielleicht auch, um sich zu vergewissern, dass sie sich nicht in Gedanken aufgelöst und zu einer Geisterfrau geworden war.
Traunt Rowan klopfte an und trat auf ihren Ruf hin ein. Groß und breitschultrig, wie er war, wirkte er in seiner schwarzen Robe eher wie ein Zauberer als wie ein Druide. Sein energisches Gesicht zeigte einen ruhigen, abwesenden Ausdruck, der die Aufmerksamkeit überdeckte, mit der er alles verfolgte. Zunächst hatte sie sich davon in die Irre führen lassen, später hatte sie es begriffen. Rowan handelte niemals willkürlich oder halbherzig. Falls er je seine Abneigung gegen sie überwinden würde, wäre er ein wertvoller Verbündeter. Er verneigte sich steif, nur der Form wegen. »Danke, dass du mich empfängst«, sagte er. »Ich habe dir etwas Wichtiges mitzuteilen.«
»Nur heraus damit.«
Sie bot ihm weder einen Stuhl noch etwas zu trinken an. Ihm ging es nur um die Sache, und er hätte beides abgelehnt. Sobald er bei ihr war, wollte er möglichst schnell wieder verschwinden.
»Ich glaube, du solltest von deinem Amt zurücktreten«, sagte er.
Sprachlos angesichts solcher Unverfrorenheit starrte sie ihn an.
»Ich sage das nicht, um dich anzugreifen«, fuhr er fort, »oder weil ich
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