Die Magier von Shannara 1 - Das verbannte Volk
Kellen war älter und stärker, sie dagegen wagemutiger. Sie begriff alles wesentlich schneller als er. Sie ritt besser und baute zu den Pferden eine instinktive und leidenschaftliche Beziehung auf. Sie konnte besser mit Waffen umgehen und erreichte schon ein Patt im Duell mit ihm, als er einen Kopf größer war und sie kaum das Übungsschwert halten konnte. Während er sich mit dem Studium der Hofzeremonien und der Staatskunst beschäftigte, wanderte sie durch die Wälder und das Flussland in der Umgebung ihres Zuhauses. Mit acht lief sie fort und schaffte es bis zum Sarandanon, ehe eine Familie von Ackerbauern sie erkannte und nach Hause brachte. Mit zwölf war sie schon auf einem Luftschiff bis zum Callahorn geflogen - wo man sie versteckt in einem der Frachträume entdeckte.
Unzählige Male hatte sie sich als Elfenjägerin verkleidet und gefährliche Jagdzüge in wildem Land mitgemacht. Ihr Vater, wäre er noch am Leben gewesen, hätte sie wahrscheinlich dafür einen Monat in ihrem Zimmer eingesperrt.
Aber zu dem Zeitpunkt lebte er längst nicht mehr; er war auf der prekkendorranischen Anhöhe zu Tode gekommen. Ihr Bruder wurde König, und weiterhin ließ er sich von ihr einschüchtern. Er hielt ihr eine flammende Strafpredigt, die nasses Stroh lichterloh hätte brennen lassen, ehe er sich wieder weniger unangenehmen Dingen zuwandte, aber eine Strafpredigt bedeutete ihr überhaupt nichts.
Sie strich das dicke, widerspenstige Haar zurück. Manchmal würde sie es am liebsten abschneiden, damit sie endlich Ruhe hatte, aber ihre Mutter hätte darauf so reagiert wie auf die Mitteilung, sie beabsichtige, einen Troll zu heiraten. Es gab keinen Grund, ihre Mutter vor den Kopf zu stoßen, denn sie war die Einzige, die Khyber vertraute und unterstützte.
Nachdem sie mit Käse und Brot fertig war, betrachtete sie ihren Onkel verstohlen. Es war schwer zu erkennen, was er dachte. Seine Miene veränderte sich fast nie, ein Resultat seiner Druidendisziplin, die verlangte, Emotionen zu unterdrücken, wenn man Magie erfolgreich anwenden wollte. Sie wollte das, was sie getan hatte, erst erzählen, wenn er gute Laune hatte. Doch wie würde sie den Moment feststellen? Sie verzog das Gesicht. Was sie tat, war eindeutig. Sie schob es vor sich her. Genauso gut könnte sie es ihm einfach jetzt sagen. Sofort. Trotzdem tat sie es nicht. Sie trank ihr Bier aus, stand auf und räumte den Tisch ab. Es gefiel ihr, den Onkel bei ihren Besuchen ein wenig zu bedienen, was sonst nie jemand tat. Er lebte allein, und manche behaupteten, weil er es bevorzugte. Vor langer Zeit hatte er sich auf der
Jerle Shannara
in eine Seherin verliebt, obwohl er das nicht offen zugab, wenn er über sie sprach. Damals war er ein Junge gewesen, jünger noch als Khyber jetzt und wesentlich behüteter. Die Seherin hatte auf der Reise den Tod gefunden, und Khyber war ziemlich sicher, dass er diesen Schicksalsschlag niemals verwunden hatte. Diese Seherin musste ihm sehr wichtig gewesen sein, musste ihm geholfen haben, zu dem Mann heranzuwachsen, der er heute war, obwohl er nie genau zu verstehen gab, auf welche Weise sie das angestellt hatte.
Seit jener Zeit hatte es nur noch eine Frau gegeben, eine Zauberin, die ihn abgöttisch liebte. Khyber hatte die beiden einmal zusammen gesehen, und die Entschlossenheit, mit der die andere Ähren Elessedil für sich haben wollte, erschütterte sie. Doch hatte er sich gegen sie entschieden, und heute sprach er nicht mehr von ihr. Offensichtlich war sie aus seinem Leben verbannt wie er aus Arborion.
»Hast du je darüber nachgedacht, nach Paranor zurückzukehren?«, fragte sie aus einem Impuls heraus und blieb mit dem Geschirr in der Hand auf dem Weg ins Haus stehen.
Er blickte sie an. »Gelegentlich. Aber ich gehöre hierher, ins Westland. Paranor ist ein Ort für Studien und Druidenränke. Weder das eine noch das andere gefällt mir. Was wolltest du eigentlich fragen, Khyber?« Sie verzog das Gesicht. »Nichts. Ich habe nur darüber nachgedacht, ob du die Gesellschaft der anderen Druiden manchmal vermisst, jener, die in Paranor leben.«
»Damit meinst du sie«, erwiderte er und lächelte traurig und ironisch. Er durchschaute Khyber und konnte ihre Gedanken lesen, dachte sie. »Nein«, fuhr er fort, »die Sache ist erledigt.«
»Ich habe nur überlegt, ob es nicht gut für dich wäre, wenn jemand bei dir wohnen würde. Jemand, der dir hilft. Damit du nicht so einsam bist.«
Es klang töricht, selbst in ihren eigenen
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