Die Magierin des Windes: Roman (German Edition)
Seine Majestät aber möchte weitere fünfzig Jahre lang gesund bleiben und seinen Sohn davon abhalten zu erben. Und mit ein bisschen Glück möchte er auch noch einen kleinen Prinzen mit seiner neuesten Frau zeugen. Einen, der sich als geeigneter erweisen wird, die Herrschaft zu übernehmen, einen, der die Ehre des Familiennamens für die Geschichtsbücher bewahren wird.«
»Die Menschen haben doch schon etwas bemerkt.
Macht er sich denn keine Sorgen, dass die Adligen rebellieren werden?«
»Er hat Gerüchte in Umlauf gesetzt, dass die Danisober ihn so erhalten. Der Adel hat so fürchterliche Angst vor der Bruderschaft, dass er Abstand hält. Und die Bruderschaft erkennt den Wert dieser Angst; deshalb hat sie das Geheimnis auch nicht gelüftet.«
»Was soll ihn davon abhalten, es wieder zu tun, jetzt, da Ihr die Sanguina in seinen eigenen Garten umpflanzen wollt?«
»Ich weiß es nicht, aber da ich bezweifle, dass ich dann noch am Leben sein werde, habe ich keine Lust, mir darüber Sorgen zu machen.«
Er hatte nicht unrecht. Und sie hatte gewiss dringlichere Probleme zu bewältigen. »Also hat der Prinz meinen Kapitän in der Gewalt?«
»In der Tat.«
»Und Ihr seid auf meiner Seite.«
»Sozusagen.« Er stand auf und lächelte. »Lasst Ihr mich jetzt heraus?«
Sie warf einen Blick zu ihm hoch und schüttelte den Kopf. »Ich kann nicht. Jarvis hat die Schlüssel.«
Er sackte zurück auf die Bank und warf mit dem Bürgenstein nach ihr.
Sie hob die Hand, um ihn aufzufangen, und erinnerte sich erst dann daran, dass sie ihn nicht hatte berühren wollen. Er war von McAverys Haut noch warm – und so glatt wie ein Flusskiesel.
»Gut, dann werde ich hierbleiben. Aber gestattet, dass ich Euch etwas frage.«
Was konnte das schon schaden? Er war doch sicher eingeschlossen – und wenn er wirklich auf ihrer Seite war, wofür sein kleiner Stein zu sprechen schien, dann würde sie sich später, wenn alles kompliziert wurde, noch seinen guten Willen wünschen. »Fragt.«
»Warum habt Ihr Angst vor Magie?«
Falkin versteifte sich. Sie hatte damit gerechnet, dass er wieder nach den Einzelheiten ihres Albtraums fragen würde. Sie hatte sich schon einen falschen ausgedacht, der sich ganz um geifernde Wer-Tiger drehte, die sie durch eine öde Wüstenei hetzten. Mit fünf einfachen Worten hatte er sie überrumpelt. Er hatte ihr die eine Frage gestellt, die noch nie zuvor jemand gestellt hatte.
Solange Falkin zurückdenken konnte, hatte ihre Mutter sie immer davor gewarnt, zu singen oder zu pfeifen. Die meisten Eltern versuchten ihre Kinder dazu zu bringen, still zu sein, aber das hier war anders gewesen. Die Tage in dem kleinen Laden, den ihre Eltern besessen hatten, waren von Musik erfüllt gewesen – dem rhythmischen Rattern von Mutters Webstuhl bei der Arbeit und Vaters leisem Summen, während er die zierlichen Angelschwimmer schnitzte, die bei den Fischern von Eldraga so schrecklich beliebt waren. Aber Falkin durfte nie auch nur einen einzigen Ton singen oder wenigstens mit den Fingern einen Takt auf den Holzboden klopfen.
Wann immer sie Musik machte, geschah etwas. Gewöhnlich waren es nur unbedeutende Vorfälle: Der Wind frischte auf, oder Staubteufel wirbelten um ihre Füße. Einmal hatte sie einen der Teppiche ihrer Mutter auffliegen und wie eine Schiffsflagge in der Brise flattern lassen. Nichts davon war allerdings besonders außergewöhnlich. Nichts, wofür irgendjemand das Pfeifen eines kleinen Mädchens verantwortlich gemacht hätte.
Ihre Mutter wusste es. Falkin hatte jedoch keine Ahnung, wie sie es erraten haben mochte. Vielleicht hatte sie selbst die Gabe. Vielleicht hatte sie aber auch nur genug Geschichten gehört, um die Gefahr zu erkennen, in der ihr Kind schweben würde, falls irgendjemand hinter ihr Geheimnis kam.
Doch am Ende hatte es nichts genützt. Die Danisober in ihren schwarzen Roben und mit ihren Flüsterstimmen waren gekommen, hatten eines Abends nach Sonnenuntergang an die Tür geklopft. Das Gesetz verlangte, dass alle Kinder, die eine Begabung für magische Fähigkeiten verrieten, unter die Vormundschaft der Bruderschaft gestellt werden mussten, um ausgebildet zu werden. Falkin war erst vier Jahre alt gewesen, aber sie hatte schon längst ihre Aufmerksamkeit erregt. Es würde das Beste sein, so hatten sie gesagt, wenn sie nun mitkäme, bevor ihre Kraft stark und unkontrollierbar wurde.
Vater hatte den Danisobern den Weg in den Laden verstellt; er hatte sich in der Tür aufgebaut und
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