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Die Maikaefer

Die Maikaefer

Titel: Die Maikaefer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Burkhard Driest
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halten lassen wie damals bei meinem Geburtstag, aber im Moment sah es nicht so aus. Ich hatte eher das Gefühl, sie würde mich nicht einmal mehr neben sich auf den Kutschbock lassen.
    Das war schade, denn ihr Milchwagen hatte Gummiräder und zwei der besseren Pferde. Auf der Chaussee nach Naugard benutzte sie nie den Sommerweg, sondern die asphaltierte Straße und hielt die Pferde ständig im Trab. Manchmal dachte ich sogar vor dem Einschlafen an sie und ihre zwei trabenden Zossen, beide hellbraun mit dunkelbraunem Rist und kurz geschorener Mähne. Sie striegelte und bürstete sie jeden Morgen, stets sahen sie aus wie zwei Sonntagspferde. Am meisten beeindruckte es mich, wenn sie im Winter Kufen unter dem Wagen hatte und ihre Pferde sie mit hell klingendem Glockengeläut durch die weiße Winterlandschaft zogen. Dies Bild drang mir bis ins Herz. Es war am Ende des letzten Winters gewesen, wir kamen mit der Kutsche aus Naugard und fuhren im Schritt rechts auf der Sandstraße. Meine Mutter hatte Dagi auf dem Schoß, aber wir waren so dick in Decken eingewickelt, dass Dagi nicht zu sehen war. Ich hätte gerne vorne beim Kutscher gesessen, aber Otto Grohmann hatte gesagt: »Es ist zu kalt, bleib mal bei deiner Mutter.« Ich hörte das Gebimmel von Elsbeths Schlitten schon aus der Ferne und wusste sofort, dass sie es war. Schnell stand ich auf und winkte ihr zu. Sie bemerkte es nicht, weil sie belustigt damit beschäftigt war, mit ihrer langen Peitsche in die Äste über uns zu schlagen, sodass der Schnee auf uns herunter wehte.
    Sie rief dem Kutscher zu: »Pass auf, Otto, dass es nicht taut, bis du zurück bist«, und spornte ihre Pferde zum Galopp an.
    Sie hatte tizianrotes Haar und war so alt wie meine Mutter, aber das Besondere an ihr waren ihre grünen Augen. Als ich sie einmal fragte, ob ich mit zur Molkerei dürfe, grinste sie und sagte: »Frauen mit grünen Augen sind nichts für dich.« Einmal hatte sie mich dann doch mitgenommen, aber eben nur einmal und auch nur, weil es mein Geburtstag war.
    Inzwischen hatte sie die Milchkannen bei den Arbeitern eingesammelt und war noch einmal zurück zum Kuhstall gekommen, wo ich jetzt ihren Wagen vor dem ersten Eingang stehen sah.
    Ich hatte angenommen, sie wäre schon nach Naugard abgefahren, und war völlig überrascht, dass sie wieder mit ihren Pferden vor dem Kuhstall stand. Es wirkte in dem grauen Winterlicht auf mich wie Zauberei, zumal ihr Wagen genau da stand, wo er vorhin gestanden hatte. Ich war in der Schmiede gewesen, und in der Zeit konnte sie bequem eine Tour durch das Gut oder das Dorf gefahren und wieder an ihren Ausgangspunkt zurückgekehrt sein, aber ich hatte so gar nicht damit gerechnet.
    Um mich zu überzeugen, dass es kein Geisterwagen war, ging ich hin und tätschelte Hänsel. Ich streichelte ihn oberhalb seiner Nüstern, weil sich das so schön trocken, weich und warm anfühlte. Er grabbelte mit seinen Lippen nach meinen Fingern, und ich zog meine Hand schnell weg, als ich Elsbeths Lachen aus dem Stall hörte. Langsam ging ich um den Wagen herum, und da kam mir die Idee, heimlich mitzufahren. Die Kannen waren schon aufgeladen. Wenn ich mich hinten auf dem Wagen unter der Plane versteckte, könnte ich erst bei der Molkerei entdeckt werden, denn das war ihre letzte Station. Sie müsste mich dann mit zurücknehmen und vorne bei sich sitzen lassen, weil es hinten bei den leeren herumhüpfenden Kannen zu gefährlich war.
    Schnell war ich auf dem Wagen. Ich legte mich auf die Kannen. Wenn sie jetzt losführe, würde mich niemand sehen. Ich dachte nicht daran, dass ich auf dem Gut vermisst werden könnte. Dafür hatte ich auch keine Zeit, weil der Melkermeister Emil Riemer plötzlich die Klappe herunterließ und noch eine Kanne auflud. Für einen Moment war es mir, als grinste er mich an, aber das war wohl wegen Elsbeths Bemerkung. Sie fragte ihn, warum er schon wieder Fronturlaub habe und ihr Mann seit zwei Jahren kein einziges Mal.
    »Du musst dich eben mit ihr gut stellen«, rief er.
    »Mit ihr? Wer ist sie denn?«
    Emil Riemer lachte. »Die Partei.«
    »Da ist mein Mann wirklich der Falsche. Hast du die Kanne drauf?« Dann hörte ich ihr Lachen wegen irgendeiner Bemerkung Riemers, ihre Peitsche knallte, es machte einen Ruck, und der Wagen begann zu vibrieren.
    Nach einer Weile wurde es ziemlich unbequem. Ich rutschte hin und her, hielt mich an den Kannen fest, musste dabei aber immer aufpassen, dass ich mir nicht die Finger quetschte, wenn zwei Kannen

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