Die Maikaefer
gegeneinander stießen. Als mein Bauch von dem harten Geruckel zu schmerzen begann, wollte ich mich bemerkbar machen, doch es begann zu regnen, und dann setzte ein so kräftiger Sturm ein, dass Elsbeth mich trotz lauter Rufe nicht hörte. Der Sturm kam von vorne, sodass er nicht unter die Plane fegte und sie wegriss. Aber dennoch zerrte er an ihr und schüttelte den Wagen so heftig, dass ich manchmal glaubte, er würde ihn auf den Acker blasen. Zweige krachten herunter, der Regen wurde stärker, und es war schwierig für mich, trocken zu bleiben. Es wäre mir wahrscheinlich auch nicht geglückt, aber die Temperatur stürzte so rapide ab, dass der Regen sich in einem Sekundenbruchteil in Schnee verwandelte. Da wir direkten Gegenwind hatten, schaffte es Elsbeth, auf der Straße zu bleiben. Aber wir kamen kaum voran. Der Schnee fiel in großen Mengen, und ich erinnerte mich daran, dass wir im letzten Winter lange eingeschneit gewesen waren. Ich liebte solche weißen Wintertage, wenn ich bei meiner Mutter zu Hause war und sie uns Bratäpfel servierte. Jedoch hier auf den eisigen Kannen war nichts von winterlicher Romantik zu finden, und ich begann mein Abenteuer als blinder Passagier zu bereuen. Auf jeden Fall wuchs meine Sehnsucht nach Elsbeth, und ich rief noch mal nach ihr. Ohne Erfolg.
Ich kroch ans Ende des Wagens und sah mich einer tosenden Schneelandschaft gegenüber. Der Sturm peitschte auf den Wagen ein, und ich merkte erst nach einer ganzen Weile, dass wir standen. Gleich darauf löste sich die eine Seite der Plane. Gegenüber hing sie noch fest und flatterte so stark, dass ich mich flach hinlegen musste, um nicht von ihr geohrfeigt zu werden.
Ich fühlte mich verloren und kämpfte gegen die Angst an. Meine Hände waren steif vor Kälte, und nachdem ich hilflos auf den Kannen herumgekrochen war, stellte ich fest, dass die Kutscherbank leer und Elsbeth verschwunden war. Ich konnte nicht sehen, ob die Pferde noch angespannt waren, weil mir der Schnee in die Augen peitschte. Ich drehte dem Wind den Rücken zu und sah im gleichen Moment rechts von mir zwei Pferde vorbei galoppieren. Auf dem einen saß Elsbeth, deren tizianrotes Haar vom Wind schneller nach vorne geblasen wurde als sie reiten konnte. Sie hatte die Pferde ausgespannt und galoppierte, vom Sturm getrieben, auf dem Sommerstreifen zum Gut zurück. Weit konnte sie es nicht haben, denn wir waren nicht lange unterwegs gewesen.
Wie nah das Gut auch immer war – ich sah nichts als grauschwarzen Himmel und weißes Getobe um mich herum. Mir war, als legte sich ein eisiges Band um mein Herz. Warum war ich nicht bei meiner Mutter geblieben? Warum war ich so alleine? Warum war ich auf diesen Wagen geklettert? Warum hatte ich mich nicht eher zu erkennen gegeben? All diese Fragen verdichteten sich zu einer düsteren Stimmung, die mich lähmte, sodass die Kälte sich immer mehr um mich zusammenzog. Ich fürchtete, eine so tiefe Temperatur könnte mich zu einer kleinen Eisfigur machen, die sich nie wieder bewegen würde.
Die Schneemassen waren schon ziemlich hoch, sodass ich nicht vom Wagen zu springen wagte. Dass Elsbeth mich verlassen hatte und davon geritten war, schien mir eine Ungeheuerlichkeit, ich war nun ganz allein. Mit Elsbeth Tizianrot waren alle Farben geflüchtet, und alles um mich herum war weiß. Später machte ich für meine Mutter ein Bild daraus – nur Deckweiß und in kargen Andeutungen schwarze Tinte.
Damit der Wind mich nicht herunterstieß, schlängelte ich mich, so flach es ging, über die Kannen zum Ende des Wagens. Ich musste dabei aufpassen, dass ich nicht von der losen flatternden Plane am Auge getroffen wurde, aber auch, dass ich mit den Lippen nicht eine der eisigen Kannen berührte. Dann würde ich mit dem Mund festkleben. Immer wieder warnten die Mütter auf dem Gut im Winter uns Kinder, mit dem Mund nicht der eisig kalten Pumpe zu nahe zu kommen.
Als ich das Ende erreicht hatte, löste sich die Plane, flog wie ein wildes Segel dahin und krallte sich in der Krone einer Birke fest.
Mein Impuls war, mich vom Wagen fallen zu lassen und durch den Schnee zurück nach Hause zu wühlen. Doch dafür war der Schnee schon zu hoch. Vielleicht wäre es besser, hinter oder unter dem Wagen Schutz zu suchen. Aber sobald ich aufhörte, mich zu bewegen, spürte ich eine beängstigende Kälte, die es nicht erlaubte, still unter dem Wagen zu hocken.
Meine Verzweiflung wuchs und verschwand auch wieder, kurzzeitig war ich voller Euphorie, dann
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