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Die Maikaefer

Die Maikaefer

Titel: Die Maikaefer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Burkhard Driest
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runder wirkte. Rund war alles an ihr, selbst die Brille mit den kreisrunden Gläsern, die die runden blauen Augen dahinter unnatürlich vergrößerten. Wie ihr blaues Kopftuch, so war auch ihre blaue Kittelschürze ein Bestandteil ihrer Erscheinung. Aus ihren Taschen zauberte sie entweder ein Taschentuch für die Tränen anderer hervor oder ein Pflaster, wenn sich ein Kind verletzt hatte. Sie war zufrieden, wenn sie für andere sorgen konnte, und deswegen hatte sie sich sofort gemeldet, als Eckhard und Brunhilde ein Quartier suchten.
    Nichts war ihr zu viel, und von früh bis spät war sie auf den Beinen. Noch abends leistete sie ihrem Johann Gesellschaft, indem sie in ihrem Lehnstuhl saß, ihm zuhörte und mit flinken Nadeln strickte. Seit Rickis Vater im Krieg war und Rickis Mutter Ursula ihren Mann in der Gärtnerei ersetzte, war es Erna Kelm, die sich auch um den Kleinen kümmerte.
    Sie begrüßte mich und fragte, wie es meiner Mutter und Dagi gehe, und nachdem ich das ein wenig einsilbig erklärt hatte, schaute sie mich freundlich schmunzelnd an. »Was hast du denn auf dem Herzen?«
    Ich fragte nach Brunhilde.
    »Da hast du Pech«, sagte sie. »Sie ist mit Ursula mit. Neuerdings treffen sich die Frauen in der Kapelle und beten zusammen. Heinrich, der Diener vom Rittmeister, hält da manchmal sogar eine Predigt. Der Krieg macht die Menschen fromm.« Dann warf sie wieder einen Blick auf mich. »Oder bist du nur gekommen, weil du von Bruni Honig holen willst?«
    Ich nickte.
    »Ja, dann musst du schon noch mal wieder kommen. Aber einen Löffel kann ich dir geben.«
    Gleich hatte sie einen kleinen, gelben Topf mit einer Biene drauf in der Hand und tauchte einen Teelöffel ein. »Mund auf!«
    »Ich möchte auch«, sagte Ricki.
    »Du isst doch sonst keinen Honig, du willst doch nur Zuckermilch«, sagte Oma Kelm.
    Ricki strahlte mich an. »Manchmal esse ich auch Honig.«
    Sie gab ihm einen halben Teelöffel voll. Wir kauten und schmatzten zusammen, als wären wir hauptberufliche Honigabschmecker, und Ricki meinte, der Honig schmecke nach Rosen, während ich fand, dass er nach Lupinen und Kastanien schmeckte.
    Bevor ich ging, wollte Ricki mir noch zeigen, wie er das Treppengeländer herunter rutschte, aber Oma Kelm erlaubte das nicht. »Nichts da«, sagte sie, »du kommst jetzt ins Bett.«
    »Darf ich denn bei dir schlafen?«
    »Darfst du. Aber erst sagst du ›Auf Wiedersehen‹.«
    Er gab mir die Hand und lachte, als hätte ich einen Scherz gemacht, und sagte dann sehr deutlich: »Auf Wiedersehen.«
    In der Tür fragte sie mich, wohin ich jetzt wollte, und erklärte dann, welch Wunder es sei, dass Max und Hotte aus der Schmiede noch nicht zum Volkssturm eingezogen worden waren. Sie vermutete, dass sie das dem Einfluss vom Rittmeister zu verdanken hätten. »Schließlich ist keinem geholfen, wenn die Landwirtschaft auch nicht mehr funktioniert«, waren ihre letzten Worte.
     
    Als ich an der Schmiede vorbeikam, hörte ich Hämmern und schaute hinein. Es war Hotte, der sich ein Messer schmiedete, das auf beiden Seiten scharf sein sollte. Wir begrüßten uns, und er arbeitete schweigend weiter, bis es fertig war. Anschließend schlug er vor, die Runde zu machen, die bei uns schon Tradition war und auf der er mir erklärte, was sich alles geändert hatte und was noch so geblieben war, wie ich es kannte. Ich liebte ihn dafür, und es machte mich ganz stolz, dass ein Vierzehnjähriger, der in der Schmiede schon wie ein Mann arbeitete, mich so wichtig nahm – von den Knöpfen an seiner HJ-Bluse ganz zu schweigen, die er mir versprochen hatte, wenn die Bluse einmal ausgedient hätte.
    Die Haushälterin war immer noch Else Domke, und ihr Mann Erich war immer noch Hofmeister. Onkel Albis Diener Heinrich Bach war auch noch da, weil er schon über fünfzig war. In der Küche traf ich die alte Mannschaft an, inklusive Ruthchen und die Umquartierte Hilde mit ihrer Tochter Irmgard, dem Mauerblümchen. Auch Nina Nowikow, die Schwarzmeerdeutsche, konnte ich umarmen, die Magd Gertrud Franke und die Tochter von Irma Mey, Elfi. Die Wäsche machten Martha Ossowski, Kathrin Wendt, Maria Aretz und Irma Mey. In der Verwaltung aber, die Gerda Wendt, Frau des Schmiedes, leitete, fehlten die Männer. Ihr half nun in der Buchführung Eckhard, der wegen einer chronischen Lungenerkrankung wehruntauglich war. Auch in der Gärtnerei gab es keine Männer mehr. Sie wurde seit Fritz Kelms Einberufung von seiner Frau Ursula geleitet. In der

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