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Die Maikaefer

Die Maikaefer

Titel: Die Maikaefer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Burkhard Driest
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versenkt. Tausende sind im eisigen Wasser ertrunken«, sagte der weißhaarige Herr.
    »Zehntausend«, sagte die Dame mit der Kette.
    »Und dann ist es noch wegen der Fliegerangriffe gefährlich.«
    Sie redeten eine Weile darüber, dass der Krieg für die Feindmächte ja praktisch gewonnen sei und dass es gegen die Genfer Konvention verstoße, Deutschland aus der Luft nun in eine Ruinenwüste zu verwandeln. »Churchills moral bombing is sinful«, sagte die Dame mit der Kette.
    Die junge Dame stimmte zu und sagte, sie habe gehört, Dresden sei innerhalb von fünfzehn Stunden in einen Glutofen verwandelt worden.
    »Auf jeden Fall seien Sie froh, dass Sie hier sind«, sagte der weißhaarige Herr zu meiner Mutter und nickte ihr ein paar Mal gutmütig lächelnd zu. »Sowjetische Panzerspitzen haben ja schon den Ostrand von Sagan erreicht und dringen im Oder-Knie bis Grünberg vor.«
    »Haben Sie gehört, dass die Türkei Deutschland und Japan zum 1. Mai den Krieg erklärt hat?« Es war eine sehr alte Dame, die das sagte, und sie erinnerte mich mit ihrem streng geknöpften, schwarzen Kleid und der weißen Haut an Tante Lieschen.
    Der Herr ihr gegenüber schüttelte den Kopf und sagte: »Absurd.«
    Nach dem Essen lief ich hinaus und besuchte erst die Kelms, weil ich dachte, vielleicht sind Brunhilde oder der kleine Ricki da. In Wahrheit aber hatte ich es auf frischen Honig abgesehen. Anschließend wollte ich zu Hotte.
     
    Ich lief die Kastanienallee hinunter und machte hinter den letzten Stallungen einen Schlenker um den Teich herum, der vollkommen zugefroren und eingeschneit war. Schnee rieselte von den mächtigen Eichen, die ihn umstanden.
    Ricki saß auf einem Schlitten, und ein anderes, viel zu kleines Kind sollte ihn ziehen, schaffte es aber nicht. Zwei Jungs in Pauls Alter liefen Schlittschuh. Einige Kinder bauten auf der anderen Teichseite an einem Schneemann.
    Im Sommer war es ein Paradies für Fische und Wasserflöhe. Oft hatte ich beobachtet, wie die Flöhe herauf und herunter paddelten. Es waren so viele, dass die Karauschen sich gar nicht schnell bewegen mussten, um sie zu schnappen. Sie schwammen in einem großen Schwarm so langsam durch das flache Wasser, dass man sie mit einem Drahtkorb fangen konnte. Hotte schaffte es sogar mit bloßen Händen. Ich hatte ihn ein paar Mal dabei beobachtet. Eine Weile stand er bis zu den Knien und den Oberarmen ganz still im Wasser, machte dann plötzlich eine ruckhafte Bewegung und hatte einen zappelnden Fisch in den Händen.
    Wenn es sehr heiß war, trieben die Fuhrleute ihre Pferde in das seichte Wasser, damit sie sich abkühlten. Der Fuhrmann musste dabei sehr genau aufpassen, dass er mit seinem Wagen nicht zu tief hinein geriet und abrutschte. Es war schon einmal passiert, doch das war lange her. Es war eine der Geschichten, die sich alle erzählten und weitererzählten und von der am Schluss niemand mehr wusste, ob sie nicht zu den vielen Fabeln gehörte, die in den Köpfen der Alten und der Kinder auf dem Gut herumspukten. Im Winter, wenn so starker Frost war wie jetzt, bildeten sich nämlich Risse im Eis, was ein lautes Krachen und Donnern erzeugte. Dann munkelten alle, es seien die zwei im Teich ertrunkenen Pferde, die versuchten herauszukommen.
    Inzwischen waren die Kinder über den Teich gekommen und fragten, ob ich mit ihnen spielen würde.
    »Was denn?«
    »Wer hat Angst vorm schwarzen Mann.« Es war der kleine Ricki, er kam gleich auf mich zu und nahm meine Hand.
    Ich machte mich los. »Ich will zu Brunhilde, weißt du, ob sie zu Hause ist?«
    »Sie ist da. Ich komme mit.« Wieder fasste er meine Hand. »Wollen wir über den Teich gehen? Du kannst dann meinen Schlitten ziehen.«
    »Nein, wir gehen hier in den Schlittenspuren.«
     
    Die Kelms wohnten in einem Doppelhaus. Die Großeltern von Ricki in der einen und Rickis Eltern und sein Bruder Günni in der anderen Hälfte. Von den beiden Zwillingen wohnte Brunhilde bei Rickis Großeltern und Eckhard bei Ursula, Ricki und Günni. Als wir ins Haus kamen, war Oma Kelm in der Küche und wusch das Geschirr ab. Nach dem Großvater brauchte ich gar nicht zu schauen, er saß wie immer am Fenster und guckte hinaus. Er hatte Vorjahren einen Schlaganfall erlitten und war seitdem auf Hilfe angewiesen. Daher hatte Erna ihre Arbeit im Gutshaushalt aufgegeben. Sie war eine ruhige, vollschlanke Frau von fast siebzig und überall beliebt. Sie war umsichtig und liebevoll. Ich kannte sie nur mit Kopftuch, durch das ihr Gesicht noch

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