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Die Maikaefer

Die Maikaefer

Titel: Die Maikaefer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Burkhard Driest
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überrannten?

18. KAPITEL
    A
    ls wir auf Drewitz ankamen, war es wie einer unserer gewohnt schönen Besuche. Alles war heil und unversehrt, der Tod und das Feuer schienen überall zu sein, nur hier nicht, hier war alles wie immer. Hier war der Frieden. Oder war es nur ein trügerischer Schein? Niemand war zu sehen. Lauerten hinter Türen und Scheunentoren vielleicht die Feinde mit angeschlagenen Waffen, um uns plötzlich mit einem Schrei den Tod zu bringen? Doch nichts dergleichen geschah, und ich merkte, dass ich durch die Ereignisse in Zernikow ein bisschen voreingenommen war.
    Wir fuhren mit unserem armseligen Hundegefährt am Portal des Herrenhauses vor, und sogleich traten Onkel Albi, Tante Sissi, der Administrator Bahlow und seine Frau, Tante Leni, aus der Haustür. Auch der Diener Heinrich erschien in Uniform, Ruthchen Ossowski, die umquartierte Frau Plum (sie half in der Küche) und Nina (die nach Brot duftende Schwarzmeerdeutsche aus der Ukraine). Wollten sie uns alle mit dem Gepäck helfen, das wir gar nicht besaßen?
    Tatsächlich war unsere Ankunft und das Bild, das wir abgaben, wie ein Luftgeist herumgeflogen, und alle wollten nun unsere ungewöhnliche Kutsche und den guten Rex bestaunen. Ruthchen sprang die Stufen herunter, erreichte uns zuerst und steckte mir und Dagi gleich ein paar Plätzchen zu, die sie in der Tasche ihrer Küchenschürze hatte. Dann tätschelte sie Rex, nahm Dagi strahlend vor Freude aus dem Wagen und trug sie die Treppe hinauf, wo sie sie vor Tante Sissi abstellte. Sie kam wieder herunter und flüsterte mir zu, was es heute Abend zu essen geben werde: Hirschragout und anschließend Vanillepudding mit Himbeeren.
    Onkel Albi entschied sogleich, dass Rex in die Obhut des Administrators komme, der auch einen deutschen Schäferhund besaß. Bahlow kam die Stufen herunter, ich spannte Rex aus und machte ihn mit dem Administrator bekannt, der ihn übernahm.
    Tante Sissi entschuldigte sich, dass sie uns den großen Salon gleich links vom Haupteingang geben müsse, weil alle Schlafzimmer im zweiten Stock von Flüchtlingen aus Ostpreußen belegt wären. Heinrich gab sie den Auftrag, dafür zu sorgen, dass dort Betten aufgestellt würden. Er sollte auch Martha Bescheid sagen, dass sie sich um Bezüge und Wäsche kümmerte.
    Im Salon wurde, wie jeden Nachmittag, Kaffee und Kuchen serviert. Es war ein sehr fetter Topfkuchen, über den ich mich hermachte, sobald die ersten Erwachsenen zugelangt hatten. Unter ihnen waren, in feiner Garderobe, auch einige der Flüchtlinge aus Ostpreußen, Verwandte von Onkel Albi und Tante Sissi, die auch Güter besaßen.
    Das Gespräch ging über den Krieg und die vorrückende Front, obgleich sich Onkel Albi und Tante Sissi daran kaum beteiligten, denn sie fanden, der Krieg und seine Grausamkeiten seien kein Thema für eine gesellige Unterhaltung. Meine Mutter allerdings meinte, sie würden nicht darüber sprechen, weil ohnehin nicht viel Wahres gesagt werden dürfte.
    Den Gästen, die uns nicht kannten, erklärte Tante Sissi unser Schicksal und dass wir hier Unterschlupf suchten, statt weiter Richtung Oder in den Westen zu trecken. Ein älterer, weißhaariger Herr nickte meiner Mutter zu, da habe sie recht gehandelt, wir könnten froh sein, Drewitz als Ziel gewählt zu haben, denn die Fähren an der Oder seien sämtlich verstopft. »In den Westen wollen alle«, sagte er, »da staut es sich kilometerlang. Da hätten Sie die ganze Nacht darauf warten können, einen Platz auf dem Boot zu kriegen.«
    »Allein in Swinemünde stecken fünfzigtausend Flüchtlinge fest«, sagte seine Frau, deren weißes Haar streng nach hinten gekämmt war.
    »In den Ostseehäfen, und das gilt auch für die Oderfähren, sind es im Ganzen mehr als eine halbe Million, die auf Schiffe warten«, pflichtete eine Jüngere mit einem grellroten Mund und dunkel bemalten Augen bei. Bei der Begrüßung hatten wir von ihren beiden Söhnen erfahren, 16 und 18, die noch eine Woche vor ihrer Flucht aus Königsberg Ende Januar eingezogen worden waren. Sie war darüber froh, denn nun seien sie beide bei der 4. Armee unter General Müller und lägen im Raum von Heiligenbeil.
    »Und stellen Sie sich vor, es geht Ihnen so, wie auf der Wilhelm Gustloff«, sagte eine alte Dame in einem schwarzen Kleid, über dem sie eine dreifache, lange Perlenkette trug.
    »Was war da?«, wagte ich zu fragen, weil ich mich an ein Foto des Lazarettschiffs in meinem Geburtstagsbuch erinnerte.
    »Russische Torpedos haben es

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