Die Maikaefer
etwas, und er folgte uns. Ich wusste nicht, was sie vorhatten, aber ich fühlte mich in ihrer Mitte sicher. Vielleicht waren es auch nur die schnellen Schritte, die ich machen musste, um mit ihnen mitzuhalten, und die mein Blut in Bewegung brachten und mich beruhigten. In mir tanzte ein Satz herum, den ich Elsbeth zurief: Ich bringe dir Hilfe, ich bringe dir Hilfe, ich bringe Hilfe!
Als wir über den Hof zu der Wohnung gingen, fiel mir auf, dass der Administrator am Eingang des Obstgartens nur noch von einem Russen bewacht wurde, und mir kam die Idee, dass der böse Mann, der Eule das Ohr abgebissen hatte, der zweite Bewacher gewesen war.
In der Wohnung brauchte ich das Zimmer nicht zu zeigen, denn man hörte an den Geräuschen, wo die Teufel ihre Hölle hatten. Die Tür stand immer noch weit auf. Der Offizier war vor mir, warf einen Blick hinein, hielt mich an der Schulter fest und befahl mir zu verschwinden.
Ich war enttäuscht, denn ich wollte Elsbeth sagen, ich bringe dir Hilfe. Widerstrebend ging ich auf den Flur zurück, wobei ich auf die Geräusche lauschte und zu erraten suchte, was in dem Zimmer geschah. Es war mir nicht möglich, aber mir fiel auf, dass ich Elsbeths Stimme seit meiner Rückkehr nicht gehört hatte. Nur die Männer sprachen. Warum sagte sie nichts?
Als ich draußen war, lief ich so schnell wie möglich zurück ins Gutshaus zu meiner Schwester, die immer noch im Bett lag. Ich fragte sie, ob sie sich gut fühle, womit ich verschlüsselt meinte, ob es Mutter gut gehe. Das war so ausgemacht zwischen uns.
Sie nickte. Vermutlich war sie ein bisschen eingeschüchtert durch all den Lärm im Haus. Ich streichelte sie und legte meine Hand auf ihre Stirn, was unsere Mutter auch oft tat, um zu sehen, ob wir Fieber hätten. Ihre Stirn war nicht zu heiß.
Ich blieb neben dem Bett stehen und erzählte mit lauter Stimme, was mir passiert war und was ich getan hatte, damit Mama es hörte.
»Wo sind die anderen Deutschen alle?«, fragte sie mit leiser Stimme.
»Alle sind im Backhaus«, sagte ich, »und da gehe ich jetzt hin, damit wir wissen, was los ist.« Ich wartete einen Moment, ob es Widerspruch gäbe, aber meine Mutter meldete sich nicht mehr, und so gab ich meiner Schwester einen Kuss und verließ das Zimmer.
Im Backhaus war es ziemlich voll. Alle standen zusammen und hielten sich gegenseitig in den Armen. Ich konnte das durch die dicke, große Scheibe sehen, die sich auf der anderen Seite des Backhauses wiederholte, sodass drinnen alle von zwei Seiten Licht bekamen. Der Himmel war grau, aber im Süden sah ich eine fahle Sonne am Himmel. Der Wolkenschleier hatte in der Mitte einen langen Riss, durch den ein silberner Strahl ins Backhaus fiel und die Eingesperrten beleuchtete. Aus meiner Perspektive wurden sie dadurch zu dunklen Silhouetten.
Draußen war es still. Niemand brüllte herum, es wurde nicht geschossen, nicht randaliert oder Balalaika gespielt, auch die ungemolkenen Kühe muhten nicht. Es war einer dieser verzauberten Momente, in dem wir uns der Leere bewusst werden, bevor der Lärm eines ganzen Marktplatzes wieder auf uns eindringt. Diesmal war der erste Laut aber nicht der Lärm des Marktplatzes, sondern das leise Jammern der Eingeschlossenen, das durch den großen Backofen über den Schornstein nach draußen drang. Es war wie das beständige Summen eines Schwarms vor seinem Bienenstock, doch es lag etwas Schmerzvolles darunter. Manchmal lösten sich auch Stimmen, riefen in einer hohen Tonlage einen Namen oder einen Satz, den ich nicht verstehen konnte. Vielleicht hatten sie Angst, dass ein Kanonenschuss durch beide Fenster ging, dann wären sie alle tot, vierzig auf einen Schuss. Einer der beiden Panzer bewachte das Backhaus, seine Bordkanone war auf die Fensterscheibe gerichtet. Vielleicht gab es auch einen anderen Grund. Neugierde trieb mich, näher zu treten und hineinzuschauen. Doch als ich die Hände hob, um damit die spiegelnden Reflexe von der Scheibe abzudecken, bekam ich einen leichten Schlag in die Rippen. Ich fuhr herum. Ein Bewacher hatte mir seinen Gewehrkolben in die Seite gestoßen und machte mir ein Zeichen zu verschwinden.
Es war einer von den vier Bewachern, die vor dem Eingang standen. Auf dem Lastwagen hatte ich viel mehr gesehen, und vielleicht waren über Nacht noch weitere dazu gekommen. Wo waren sie alle? Vielleicht lagen sie besoffen in den Ställen. Vielleicht hatten sie Brot bei sich und würden es nicht merken, wenn ich ihnen eines wegnähme.
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