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Die Maikaefer

Die Maikaefer

Titel: Die Maikaefer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Burkhard Driest
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Ich war so oft mit Eule im Backhaus gewesen und hatte frisches Brot geholt, dass der Gedanke völlig von mir Besitz ergriff und ich meinen Hunger spürte.
    Auf meinem Weg zurück ins Gutshaus sah ich zwar die russischen Militärlaster, den zweiten Panzer und die Panjewagen, aber keine Soldaten. Je mehr mir das auffiel, desto mehr beunruhigte es mich. Wo waren sie? Ich konnte mich nicht davon abbringen, eine Verbindung zu meiner Mutter herzustellen, und sogleich spürte ich einen sehr starken Alarm.
    Von der Eingangshalle im Gutshaus ging der Flur ab, an dem unser Zimmer lag und der zur Küche führte. Derselbe Flur, in dem ich die beiden Offiziere und Rübezahl getroffen hatte. Er war leer. Die Küchentür war nur angelehnt, und ein lautes Stimmengewirr kam von dort. Um Mamas Sicherheit willen musste ich schauen, was in der Küche vor sich ging.
    Die Küche war voller Russen, die sich wie in einer Kneipe lärmend unterhielten und rauchten. Auf dem Tisch lag ein Schinken, von dem ein Bär von einem Kerl mit einem großen Messer etwas abschnitt und es auf der Spitze seines Messers einem der Umstehenden hinhielt. Seine Fellmütze hatte er ins Genick geschoben. Ihm gegenüber stand Hofmeister Erich Domke, dem er auch ein Stück gab. Wahrscheinlich hatte Domke den Schinken besorgt.
    Die Anwesenheit von Domke gab mir Sicherheit, ich spürte meinen Hunger so beißend, dass ich schon beim Anblick des Schinkens schlucken musste. Im Vertrauen darauf, dass Russen Kinder mochten, zwängte ich mich zwischen ihnen hindurch, bis ich neben dem Bären stand, der das Essen verteilte.
    Hofmeister Domke war sechzig, sah aber älter aus, obwohl er ein kräftiger Mann war. Das Auffälligste an ihm waren seine buschigen Augenbrauen. Die sollte er sich stutzen lassen, hatte meine Mutter öfter gesagt. Ich fragte ihn, ob ich auch ein Stück Schinken haben könnte, doch er verstand das in dem Lärm nicht und rief: »Wo sind die beiden Offiziere?«
    Ich legte die Hände an den Mund: »Die sind beim Administrator in der Wohnung.«
    »Und wo ist Bahlow?«
    »Der ist noch am Obstgarten.«
    »Und sonst?«
    »Weiß ich nicht.« Irgendwie fiel mir nicht ein, ihm zu sagen, dass von uns die meisten im Backhaus waren.
    »Dann renn mal rum und guck mal und zähl genau, wer –«
    Einer der Russen befahl dem Hofmeister etwas, und er hörte auf zu sprechen.
    Ich sah, wie der Bär mich anschaute, und um ihn nicht misstrauisch zu machen, dass ich mit dem Hofmeister etwas gegen die Russen verabredet hätte, hielt ich ihm die offene Hand hin. Er grinste und gab mir ein Stück Schinken. Es schmeckte, stillte aber meinen Hunger nicht. Der Bär beachtete mich nicht mehr, doch als ich gehen wollte, piekte er mir mit dem Messer in den Oberarm. Ich wandte mich um und starrte ihn an. Mit einem breiten Grinsen zeigte er seine schlechten Zähne, warf ein Stück Schinken in die Luft, das ich wie ein Hund aufschnappen sollte, aber mit der Hand fing. Ich bedankte mich mit einer sehr tiefen Verbeugung, die alle umstehenden Russen zum Lachen brachte und verließ die Küche.
    Ich ging zu uns ins Zimmer, um meiner Mutter zu erzählen, wie ich die Milchfahrerin Elsbeth gerettet hatte. Es war ganz und gar nicht eine Geschichte, die sie beruhigte. Besorgt wollte sie wissen, wo die anderen Besatzer sich aufhielten, und ich sagte, dass alle Russen in der Küche beim Essen seien, auch der Hofmeister. Er wolle, dass ich die Lage erkundete, um ihm zu berichten.
    Meine Mutter war erst dagegen, fand es dann immerhin eine gute Idee, Hotte mitzunehmen. Sie hielt ihn für bedächtig und meinte, er täte meistens das Richtige. Sie wollte auch wissen, ob ich was von Sissi und Albi gehört hätte, und ich sagte, dass die meisten im Backhaus eingesperrt wären, Tante Sissi und Onkel Albi aber nicht dabei wären. Ich versuchte ihr klarzumachen, was für ein Glück es für die beiden wäre, nicht im Backhaus von einem Panzer bewacht zu werden. »Die kriegen nicht mal was zu trinken«, empörte ich mich und unterschlug all die anderen Dinge, die sie zu erleiden hatten.
    Ich versprach Dagi, ihr etwas zu essen mitzubringen und düste voller Eifer los. Ich freute mich auf die Runde mit Hotte. Es war nicht das erste Mal, dass wir zusammen den Gutshof erkundeten, aber diesmal mit einem Auftrag. Wie oft hatten wir genau festgestellt, welche Tiere fehlten, wer inzwischen an die Front geschickt und wessen Tod gemeldet worden war, was die Ernte erbracht hatte oder erbringen würde. Manchmal hatten wir

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