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Die Malerin von Fontainebleau

Die Malerin von Fontainebleau

Titel: Die Malerin von Fontainebleau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilken Constanze
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Nase, die vom Staub kitzelte. »Besser gleich, bevor Meister Primaticcio das entdeckt. Er wird sehr schnell wütend.«
    Die Stuckarbeiten in der Galerie waren abgeschlossen, und weil Meister Rosso nicht anwesend war, um die nächsten Arbeitsschritte anzuordnen, hatte Primaticcio alle Künstler und Handwerker bis auf weiteres zu sich beordert. So näherten sich zumindest die königlichen Gemächer langsam ihrer Fertigstellung.
    Die folgenden Tage verbrachte Luisa damit, die Karyatide zu flicken, anzubringen und die Gussform für die nächste Skulptur, eine Kybele, zu fertigen. In der Ruhe von Rossos Arbeitszimmer hatte sie sich Ovids Metamorphosen vorgenommen. Kybele verkörperte eines der vier Elemente, die Erde, und wurde in der Kunst häufig mit einem Zepter, einem Globus oder einem Schlüssel dargestellt. Viel interessanter fand Luisa dagegen die Rolle der Kybele im zehnten Buch der Metamorphosen , wenn die Erdgöttin Rache an Atalanta und Hippomenes nimmt, die ihren Tempel entweiht
haben. Anstatt die Kybele nur mit ihren Symbolen zu behaften, wäre es spannender und vieldeutiger, den Moment der Verwandlung ihrer Opfer zu zeigen. Luisa war davon überzeugt, dass Rosso und der König Gefallen an diesem Motiv fänden. Der Betrachter hätte ungleich mehr zu enträtseln, wenn er Kybele mit ihrem Löwengespann sähe.
    Luisa saß beim Licht einer Öllampe und eines Kerzenleuchters an Rossos Arbeitstisch und zeichnete verschiedene Versionen von Kybele, Atalanta und Hippomenes. Die stolze Jägerin Atalanta hatte es Luisa angetan. Sie galt als unbesiegbare Läuferin, alle Bewerber, die sich mit ihr messen wollten und unterlagen, wurden getötet. Allein Hippomenes gelang es durch eine List und mit Hilfe der göttlichen Venus, das Wettrennen gegen Atalanta zu gewinnen. Luisa zeichnete die Jägerin, wie sie einen der goldenen Äpfel der Venus aufhob und dabei von Hippomenes überholt wurde. Als Nächstes skizzierte Luisa Kybele, die zornig zusehen muss, wie Atalanta und Hippomenes ihren Tempel durch einen Kuss entweihen. Unbewusst verlieh sie der Kybele die Züge der hochmütigen Diane de Poitiers, und Atalanta, die überlistete Liebende, war keine andere als die liebliche Anne de Pisseleu.
    Die Kybele sollte eine halbplastische Karyatide werden, welche die Zügel des Wagens in den Händen hält. Luisa zeichnete einen der Löwen und schließlich den zweiten in dem Augenblick, in dem Atalantas Körper von der Verwandlung erfasst wird. Das Gesicht der schönen Frau drückte Entsetzen und Überraschung aus, und die Körperglieder schienen sich gegen die Umwandlung zu wehren. Luisa nagte an ihrer Unterlippe und überlegte angestrengt, wie sich der Wagen am besten in Stuck gießen ließe. Ein Relief wäre denkbar, aber zu starr für die bewegten Figuren. Nein, die Glieder sollten frei sein, sich recken und winden und das Drama zum Leben erwecken.

    Plötzlich riss eine leise vertraute Stimme sie aus ihren Überlegungen. »Luca, du bist noch auf? Und arbeitest? Lass mich sehen!«
    Sie hatte ihn nicht kommen hören, doch Meister Rosso stand in staubigen Reisekleidern hinter ihr und fuhr ihr kurz mit einer Hand über die Haare, bevor er das zuoberst liegende Blatt ergriff und studierte. »Vortrefflich! Mir gefällt es, den Löwen und die halb Löwin, halb Mensch gewordene Atalanta zu zeigen. War das deine Idee?«
    »Ja. Wie war die Reise? Was wollte der König von dir?« Freudig wollte sie aufspringen und Meister Rosso um den Hals fallen, doch der machte einen Schritt rückwärts und sagte kühl: »Keine Vorkommnisse. Ein neuer Auftrag, wie ich es mir gedacht hatte. Francesco?«, rief er nach hinten, wo jemand eine Kiste über den Boden schob. »Lasst Brot und Wein und heißes Wasser für ein Bad bringen.«
    Luisa hörte die Antwort nicht und erhob sich enttäuscht. »Ich werde mich in mein Zimmer zurückziehen. Danke, dass ich hier arbeiten durfte.« Erst jetzt sah sie, wie müde er aussah. Seine Augen waren ohne Glanz, und die Furchen um Nase und Mund schienen tiefer geworden zu sein.
    Ein mattes Lächeln umspielte seine Lippen. »Morgen, Luca. Es ist schon spät.«
    Sie wollte ihre Zeichnungen zusammenrollen, doch er hielt sie zurück. »Nein, lasst mich einen Blick darauf werfen. Und jetzt begebt Euch zur Ruhe. Ihr scheint sie so nötig zu haben wie ich.«
    Sie nickte und ging an ihm vorüber, wobei sich ihre Hände kurz berührten. Mit ausdrucksloser Miene stand Pellegrino im Durchgang zum Nebenraum und beobachtete sie. Sein

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