Die Malerin von Fontainebleau
Schnarchgeräusche, als sie am Krankensaal vorüberkamen, hörten sie jemanden
vor Schmerz stöhnen und die beruhigende Stimme von Schwester Barbara.
Gérard verdeckte die Flamme mit einer Hand und wandte sich rasch zur anderen Seite, wo sich die Lagerräume und der Raum für die Toten befanden. »Diese Tür muss es sein.«
Entlang den unverputzten Wänden standen Kisten und Fässer. Winzige Öffnungen auf Augenhöhe sahen auf den Hof, auf dem es dunkel und still war. Gérard kratzte an der roh gezimmerten Tür vor ihnen.
»Kommt herein!«, erklang Bruder Blasius’ Stimme.
Luisa schlug sich die Hand vor den Mund, als sie ihren Bruder gewaschen und in sauberen Kleidern vor sich liegen sah. Wie sie es gewünscht hatte, bedeckte die Kapuze den Kopf, und man hätte denken können, er schliefe, denn sein Gesichtsausdruck war friedlich, fast schien es, als lächle er. Nur seine über der Brust gefalteten Hände und die unnatürliche Blässe zeigten, dass Armido den ewigen Schlaf schlief.
Sie beugte sich über ihn und hauchte ihm einen Kuss auf die Stirn. »Mögest du in Frieden ruhen, Armido«, flüsterte sie.
»Ich habe ihn gesalbt und ihm die Sakramente gespendet. Bruder Antoine hat mir beim Waschen und Ankleiden geholfen, aber hiervon muss er nichts wissen. Es gibt Dinge, die versteht er nicht.« Er zeigte auf die Trage, die hinter den Tischen an der Wand lehnte. »Wenn Ihr das Hospital morgen früh verlasst, sage ich ihm, dass Ihr Euren Bruder mitgenommen habt. So, und jetzt sollten wir keine Zeit verlieren. Die steinernen Sarkophage haben schwere Deckel.«
Es kostete Luisa alle Kraft, den Körper ihres Bruders zuerst auf die Trage legen zu helfen und sie dann durch das Hospital, über den Hof und schließlich durch einen Seiteneingang in die Kirche zu schaffen. Zweimal mussten sie die Last absetzen und sich den Schweiß von der Stirn wischen.
Blasius war keine Hilfe, denn er erleuchtete den Weg. Bevor sie durch die enge Tür des Kirchenschiffs traten, sagte er: »Seid so leise wie irgend möglich. Vater Marius schläft in einer Kammer hinter der Sakristei.«
Soweit sie es erkennen konnten, handelte es sich um eine einschiffige Kirche von schlichter Art. Durch eines der spitzbogigen Fenster fiel ein Streifen Mondlicht auf das einfache Gestühl, der Fußboden war mit unregelmäßig geschlagenen Steinplatten bedeckt. Der Mönch ging an der Wand entlang Richtung Altar, bis er unvermittelt stehenblieb. Vor ihnen tat sich ein dunkles Loch auf. Eine Grabplatte war bereits zur Seite geschoben worden, und daneben lag eine kurze Leiter auf dem Boden.
»Die Gruft der Flammants«, flüsterte der Mönch und hielt seine Lampe in das Loch im Kirchenboden.
Undeutlich waren die Umrisse mehrerer Särge zu erkennen.
»In einen der hinteren Särge legt ihr den Toten. Die Deckel liegen nur auf und lassen sich schieben. Nehmt das Licht mit hinunter. Ich bleibe oben und halte Wache.« Bruder Blasius hielt die Lampe, während Gérard die Leiter in die Gruft hinunterstellte.
»Wie, um alles in der Welt, sollen wir Armido dort hinunterbringen?«, murmelte Luisa. Sie hatten die Trage auf den Boden gelegt.
»Ich nehme ihn auf die Schultern. Ihr geht zuerst hinunter und haltet die Lampe«, ordnete Gé rard an.
Ohne nachzudenken befolgte Luisa die Anweisung und kletterte in die muffige Gruft hinunter, wobei sie ihre Angst zu unterdrücken suchte. Staub und Spinnweben kratzten sie im Hals und lösten einen Hustenanfall aus. Die Lampe zitterte in ihrer Hand, und heißes Öl tropfte auf ihr Bein. Sie tappte unsicher umher und stieß gegen den ersten Sarg. Dahinter
standen an den Wänden drei weitere, einer nur halb so groß. Der Sarg eines Kindes.
»O Gott …«, krächzte sie und fuhr sich über das Gesicht, um besser sehen zu können.
Mit dem in den Umhang gewickelten Körper ihres Bruders kletterte Gérard schwer atmend die Leiter hinunter und wäre beim Aufkommen auf dem Boden fast gestürzt. Doch Luisa stellte rasch die Lampe auf einen Sarg und stützte ihn von hinten. Schnaufend ließ er die Leiche zu Boden gleiten. Luisa vermied es hinzusehen und zeigte auf einen der Särge an der Wand. »Den?«
Gemeinsam ruckelten sie an dem steinernen Deckel, der sich erstaunlich leicht bewegen ließ, allerdings begleitet vom lauten Geräusch aneinanderschleifender Steine. Sie holte die Lampe und sah hinein. Eine bereits mumifizierte Leiche in Kleidungsresten wurde sichtbar. Gérard ging zum Loch und rief nach oben: »Wir legen ihn in den
Weitere Kostenlose Bücher