Die Maori-Prinzessin
endlich auf zu streiten!«, befahl Tante Joanne mit schneidend scharfer Stimme.
Eva tat nur Adrian leid. Aber auch der würde diesem schrecklichen Zuhause ja bald entkommen können, wenn er zum neuen Semester im Februar auf die Akademie nach Wellington ging.
Doch Adrian war nun so heftig von seinem Stuhl aufgesprungen, dass das Möbel mit Getöse nach hinten kippte.
»Ich weiß genau, warum Daniel so selten aus Wellington nach Hause kommt. Er fühlt sich nicht wohl in dieser neuen Familie. Genauso wenig wie ich!«, brüllte er und verließ türenknallend das Esszimmer.
Danach herrschte peinliches Schweigen bei Tisch. Eva kam es wie eine halbe Ewigkeit vor, bis die Tafel schließlich aufgehoben wurde und Tante Joanne ihr steif eine »Gute Nacht«, wünschte. Ihr Mann murmelte etwas Unverständliches in seinen Bart, während Berenice die Lippen fest zusammenpresste.
Erst als Eva bereits bei der Tür war, hörte sie die Tochter des Hauses laut und vernehmlich sagen: »Das macht er doch nur, um vor der da anzugeben! Ich verstehe überhaupt nicht, was die hier zu suchen hat! Als hätten wir nicht genug Sorgen. Da muss sich jetzt nicht noch eine Fremde bei uns durchfressen.«
Eva kämpfte mit sich, ob sie sich umdrehen und der unverschämten Person die Meinung sagen sollte, aber sie entschied sich dagegen. Sie wollte keinen überflüssigen Gedanken an ihre unmögliche Verwandtschaft verschwenden. Stattdessen verließ sie das Esszimmer, als wäre nichts geschehen, und formulierte auf dem langen Gang zu ihrem Zimmer, was sie ihrem Vater wohl schreiben würde. Und sie fragte sich, ob sie ihm ihren Eindruck schildern sollte, den sie von der Familie Bold/Clarke/Thomas binnen weniger Stunden gewonnen hatte.
Vor ihrer Zimmertür hielt sie kurz inne. In diesem Teil des Hauses herrschte eine friedliche Stille, und sie verstand nur allzu gut, dass Adrian den vorübergehenden Auszug aus seinem Reich bedauerte.
N APIER , D EZEMBER 1930
Harakeke und Lucie saßen auf ihrem Stammplatz am Fenster. Von hier aus hatten sie einen Blick bis zur Wasserfront. Von dem aber nahmen sie kaum etwas wahr, weil sie, wie immer, wenn sie zusammen waren, in einem fort plauderten.
Die beiden alten Damen waren stadtbekannt, weil sie zu den wenigen wohlhabenden Maorifrauen vor Ort gehörten und weil beide mit einem angesehenen Bürger der Stadt Napier verheiratet gewesen waren. Deshalb nannte man sie auch stets respektvoll Misses Bold und Misses Dorson. Wenngleich Lucie stets noch das Befremden der Menschen heraushörte. Früher war es nur Harakeke gewesen, über die man sich in Napier das Maul zerrissen hatte. Doch längst klebte der Skandal, dessen Hauptakteurin Lucie gewesen war und der schon lange der Vergangenheit angehörte, an ihr wie das Harz am Kauri-Baum.
Was die Schwestern allerdings mehr als das Gerede hinter vorgehaltener Hand störte, war die Tatsache, dass sie in der Regel die einzigen Nicht-Pakeha waren, die hier speisten. Aber auch das vergaßen sie, wenn sie wie die Wasserfälle miteinander plauderten.
»Nun erzähl schon von dem Mädchen. Du bist ja richtig angetan von ihr.«
Harakeke zündete sich zunächst einmal genüsslich eine Zigarette an und blies den Rauch in Kringeln aus der Nase. Lucie wusste, dass ihre Schwester sie auf die Folter spannen wollte, aber sie lehnte sich betont ruhig zurück.
»Sie ist sehr natürlich und dabei äußerst hübsch – was sie nicht weiß. Und das ist das Gute. Sie ist eine echte Schönheit. Sie hat dichtes weizenblondes Haar, ein Gesicht wie die Madonnen in deiner Kirche und grüne Augen«, schwärmte Harakeke. »Nur ihr Englisch lässt, wie soll ich sagen, zu wünschen übrig.«
Lucie dachte nach.
»Dann ist sie leider nicht geeignet für mein Vorhaben.«
»Doch, doch du brauchst nur viel Geduld. Und du würdest ihr gleichzeitig helfen, ihre englischen Sprachkenntnisse zu perfektionieren. Ich glaube, sie ist nicht nur hübsch, sondern auch äußerst klug. Und sie hat ein Gefühl für unsere Sprache. Es bedürfte nur des richtigen Lehrers.«
»Ich weiß nicht. Ich hatte eigentlich an jemanden gedacht, der die englische Sprache perfekt beherrscht. Und der seine Nase nicht in meine Angelegenheiten steckt, sondern es als reine Arbeit begreift. Schließlich offenbare ich damit etwas aus meinem Leben. Er muss mir versprechen, allen anderen gegenüber zu schweigen.«
»Dann gibt es ja nur einen Menschen, der dafür in Frage kommt.«
Lucie sah ihre Schwester verdutzt an.
Harakeke
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