Die Maori-Prinzessin
Tom der Vater. Und trotzdem, in jedem schiefen Blick, den man ihr zuwarf, wenn sie in Napier war, sah sie eine Bedrohung. Ein wenig Sicherheit verschaffte ihr dann stets ein Blick in die offiziellen Papiere. Dort stand es schwarz auf weiß: Joanne galt als ihre leibliche Tochter. Daran konnte keiner rütteln. Doch das konnte ihre Angst niemals gänzlich verscheuchen. Besonders fürchtete sie ihre eigene Haushaltshilfe Stella. Lucie mutmaßte, dass sie die Wahrheit ahnte, denn sie galt als Elisas einzige Freundin. Ob sie wusste, dass Elisas Kind nicht, wie es ein von Misses Benson bestochener, dubioser Arzt bescheinigt hatte, bei der Geburt gestorben war? Jedenfalls verspürte Lucie immer, wenn sie Stella im Haus begegnete, ein leichtes Unwohlsein.
Lucie hatte seit dem Tag, an dem sie Joanne aus dem Heim geholt hatte, die ganze Angelegenheit auch Tom gegenüber mit keinem weiteren Wort erwähnt. Nur einmal hatte sie ihn gefragt: »Und was hättest du getan, wenn Elisa die Geburt unbeschadet überstanden hätte?«
Tom hatte verlegen mit den Achseln gezuckt.
»Hättest du mich verlassen?«, hatte sie nachgehakt.
Tom hatte ihr tief in die Augen gesehen. »Nein, niemals, mein Liebling, eher hätte ich dafür gesorgt, dass Elisa mit dem Kind zu einem meiner Kunden auf die Südinsel geht. Finanziell hätten sie keine Sorgen haben müssen.«
Lucie hatte nach diesem Geständnis lange geschwiegen. Nicht, weil sie ihm nicht glaubte, sondern, weil sie spätestens in dem Augenblick gemerkt hatte, dass das nach außen starke Mannsbild Tom Bold im Grunde seiner Seele ein Schwächling war. Von dem Tag an liebte sie ihn anders als zuvor. Die Leidenschaft war erloschen. Sehr zu seinem Kummer, denn seine Begierde nach ihr als Frau war nach der ganzen Geschichte in aller Heftigkeit erneut aufgeflammt.
Das war auch kein Wunder, denn Lucie hatte in ihrem Leben nie zuvor blühender ausgesehen als kurz nach der angeblichen Niederkunft mit Joanne. Sie war zwar wieder rank und schlank geworden, doch sie hatte Rundungen dort behalten, wo es passte. Ihre Schwester betonte immer, sie hätte noch nie zuvor ein solches Feuer ausgestrahlt.
Lucie hatte Harakeke noch an demselben Abend, nachdem sie aus dem Kinderheim zurückgekehrt war, in die ganze Angelegenheit eingeweiht und sie gebeten, sie während ihrer Abwesenheit bei Tommy als Mutter zu vertreten. Wie so oft waren die Schwestern auch in dieser Angelegenheit unterschiedlicher Meinung gewesen. Harakeke hatte zwar größte Hochachtung vor Lucies Mut, das Kind einer anderen Frau, und dann noch der Geliebten des eigenen Mannes, aufzuziehen, doch sie fand die ganze Geheimniskrämerei drum herum völlig überflüssig. »Die Leute werden ohnehin reden, und es wird einige geben, die den Braten riechen«, hatte sie eingewandt. »Warum stehst du nicht dazu, dass du den Bastard deines Mannes und dieser Elisa aufziehst?«
»Joanne ist meine Tochter!«, hatte Lucie unmissverständlich entgegnet und dann versucht, Harakeke ebenfalls zu einem Adoptivkind zu überreden. »Selbst wenn ich wollte, man gibt mir als Maori von zweifelhaftem Ruf kein Kind, geschweige ein Pakeha-Kind«, hatte sie erwidert.
Das hatte Lucie zum Schweigen gebracht.
Doch Harakeke mochte Kinder sehr und hatte schließlich ihre Hilfe für das Waisenhaus angeboten. Seitdem engagierten sich die Schwestern gemeinsam für das Wohl der elternlosen Kinder. Sie hatten Geld gespendet, das Innere des Hauses verschönert, und sie boten den Kindern jedes Wochenende einen Spielnachmittag in dem leerstehenden Haus in Napier. Harakeke hatte sogar die Heimleitung dazu gebracht, sie im Haus ein paar Maori-Waisenkinder aufnehmen zu lassen, um die sie sich ganz besonders intensiv kümmerte. Sie war inzwischen Patin für zwei Jungen und drei Mädchen.
Tom hatte das Haus in Napier längst verkaufen wollen, nachdem sie ihren Wohnsitz endgültig nach Meeanee verlegt hatten. Lucie hatte dagegen heftig protestiert. Er verstand zwar nicht, warum seine Frau so vehement gegen den Verkauf des Hauses war, aber er akzeptierte es, ohne zu murren, wie er ihr auch alles andere durchgehen ließ, was sie wünschte. Seit sie seine Tochter aus dem Heim gerettet hatte, gab es keinen Wunsch, den er ihr abschlagen würde. Im Gegenteil, er war ihr bewundernd ergeben. Sogar die ständigen Zurückweisungen und die getrennten Schlafzimmer ertrug er klaglos.
Ein wütender Kinderschrei riss Lucie aus ihren Gedanken.
Joanne versuchte gerade Tommy, der inzwischen schon
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