Die Maori-Prinzessin
sie hatte sich zu früh gefreut: Das Lächeln im Gesicht des Kindes wurde in dem Augenblick zu einer kleinen zornigen Fratze, als sie ausholte und mit einem Schlag alles umwarf, womit Tommy und Tante Ha eben noch gespielt hatten. Als die kleinen Puppen, die Körbe, die Waren durcheinanderwirbelten, klatschte sie vor Begeisterung in die Hände und lachte.
Tommy beobachtete das Ganze mit schief gelegtem Kopf. Dann griff er nach der Hand seiner Tante. »Komm, wir gehen zu dir spielen«, verlangte er. Harakeke überlegte kurz, doch dann sagte sie entschieden: »Ja, lass uns rübergehen, aber den Laden nehmen wir mit und spielen ein wenig.«
Wortlos packten die beiden alles zusammen. Erst als Harakeke das Tuch wieder über den Puppenkaufladen deckte und ihn sich unter den Arm klemmte, begann Joanne laut zu schreien. »Mein Geschenk, mein Geschenk!«
Entnervt warf Harakeke Lucie einen fragenden Blick zu.
Lucie wand sich. »Ich glaube, es wäre unklug, ihr das Geschenk jetzt gleich wieder fortzunehmen. Es gehört ja schließlich ihr …«
Wutschnaubend stellte Harakeke das Spielzeug zurück auf den Boden.
»Komm, Tommy, wir spielen bei mir mit dem alten Laden, den ich mal für dich gekauft habe«, erklärte sie entschieden. »Oder mit der Holzeisenbahn!«
»O ja!« Tommys Augen leuchteten, und er zerrte ungeduldig an Harakekes Hand.
»Aber du kannst doch jetzt nicht einfach gehen. Es ist Joannes Geburtstag«, protestierte Lucie.
»Wir müssen reden. So geht das nicht weiter. Das ist ja ein Irrenhaus.« Ohne sich noch einmal umzudrehen, verschwand Harakeke mit dem Jungen an ihrer Hand.
Lucie blieb wie betäubt zurück. Plötzlich war alles still. Joanne hatte aufgehört zu brüllen. Stattdessen sah sie Lucie mit großen Augen an. Es liegt so gar nichts Kindliches in ihrem Blick, stellte sie beinahe erschrocken fest, rang sich aber zu einem Lächeln durch. Der Ausdruck im Gesicht des Kindes blieb starr.
Es ist an mir, das Ruder herumzureißen, redete sich Lucie gut zu. Wenn ich ihr alles durchgehen lasse, bekommt sie später die Rechnung. Und dann wird sie mir zu Recht Vorwürfe machen.
»Willst du die Puppe nicht lieber vom Boden aufheben und in das Puppenbett tragen? Sie fühlt sich bestimmt nicht wohl dort unten«, schlug Lucie vor.
»Ich mag sie nicht. Sie soll tot sein«, erwiderte das Kind und schob trotzig die Unterlippe vor.
Lucie lief ein eisiger Schauer den Rücken hinunter. Wo hatte Joanne denn so etwas aufgeschnappt? Was war das nur für ein seltsames Kind, das sie sich ins Haus geholt hatte? Doch dann suchte sie, wie so oft, die ganze Schuld allein bei sich. Was konnte ein unschuldiges Geschöpf schon dafür, wenn man es nicht richtig erzog? Wenn sie an Tommy dachte, den sie zwar nie besonders streng, aber dennoch konsequent erzogen hatte. Er gehorchte, er gab keine Widerworte, stampfte nie mit den Füßen auf oder wälzte sich auch nicht schreiend auf dem Fußboden, wenn er seinen Willen nicht bekam. Er hatte auch noch nie Anstalten gemacht, ihr seinen Willen aufzuzwingen. Mit Tommy war alles so leicht. Wenn er etwas wollte, dann setzte er sein cleveres Köpfchen ein und brachte die Eltern auf geschickte Weise dazu, ihm etwas zu erlauben, das sie eigentlich gar nicht befürwortet hatten.
Er schien in sich zu ruhen und sich seiner selbst sicher zu sein. Lucie war ja froh darüber, dass der Familienzuwachs ihn nicht aus dem Tritt gebracht hatte. Jedenfalls zeigte er es nicht, wenn ihn die Existenz dieses anstrengenden Schwesterchens belasten sollte. Lucie konnte gar nichts dagegen tun. Eine Welle zärtlicher Zuneigung für ihren Sohn durchflutete ihr Herz. Es war ein völlig anderes Gefühl als bei Joanne. Ob das Kind spürte, dass bei Lucie der Wille, unbedingt noch eine Tochter zu haben, alles andere überdeckte? Wie dem auch immer sei, Sie musste etwas unternehmen, damit dieses Kind nicht den Eindruck gewann, es könne sich alles erlauben.
Lucie hob Joanne von ihrem Schoß, stand auf und holte die Puppe, die durch den Sturz ziemlich gelitten hatte. Dem weichen, aus Ziegenleder gefertigten Körper hatte es nicht geschadet, aber ein Glasauge war bei dem Aufprall zerbrochen. Das ließ sie bedauernswert aussehen. Wenn Lucie nur daran dachte, dass es die schönste und teuerste Puppe im ganzen Laden gewesen war. Sie war von Montanari und besaß echtes Haar. Ihr einziger Makel war der hohe Preis. Deshalb hatte sie lange Zeit unverkäuflich auf ihrem Platz gesessen, und das Wachs im Gesicht der Puppe
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