Die Maori-Prinzessin
auf den ersten Blick in das Haus auf dem Hügel. Allein der Blick über das Meer ließ ihr Herz aufgehen. Niemals hätte sie gedacht, dass sie das Gefühl, zu Hause zu sein, an einem anderen Ort als auf dem Titirangi würde empfinden können. Aber sie konnte sich gar nicht dagegen wehren. Ihr Herz hatte gewählt. Diesen Ort wollte sie nie wieder verlassen. Die Abendsonne tauchte das weiße Haus in einen unbeschreiblichen, warmen Gelbton. Leise ging der Wind durch die Bäume. Ahorangi wandte sich zu Tom um und schlang ihre Arme um seinen Hals.
»Es ist schön, es ist so schön hier!«, rief sie entzückt aus.
Tom aber stand wie erstarrt da. Das blieb auch Ahorangi nicht verborgen. Erschrocken ließ sie ihre Arme sinken.
»Bereust du etwa, dass du mich gerettet hast? Muss ich gehen?«
»O nein, Ahorangi. Ich habe dir mein Wort gegeben. Ich werde dich davor beschützen, dass man dein Gesicht anrührt oder dass du jemals heiraten musst.«
Toms Stimme hatte einen sanften Klang bekommen, doch dann befahl er in unwirschem Ton. »Nun komm schon! Es freut mich, dass es dir gefällt, aber ich kann nicht stundenlang mit dir im Arm über das Land blicken und zärtliche Worte im Mund führen!«
»Entschuldigung, ich weiß, du hast mich mitgenommen, damit ich dir im Haus helfen kann. Also, was soll ich tun? Sag es mir!«
»Nein, das ist es nicht!«, widersprach Tom heftig. »Ich, ich, muss dir was sagen. Bevor wir ins Haus gehen. Nicht dass ich dich mit meinem verzehrenden Blick erschrecke. Weißt du, ich fühle mehr für dich, als ich sollte. Aber ich verspreche dir, ich werde nie über deine Grenzen gehen. Dann wäre ich schließlich nicht besser als die Kerle, die dich entführt haben. Ich habe es deutlich vernommen, dass du niemals heiraten willst!«
Tom wandte sich abrupt von ihr ab und stiefelte mit festem Schritt auf das Haus zu. Er war gerade bei der Tür, als ihn von hinten zwei Arme umschlangen. Er fuhr herum und sah in die völlig veränderten Augen Ahorangis. Aus ihnen sprachen Zärtlichkeit und Zuneigung.
»Ich habe nicht behauptet, dass ich niemals heiraten werde, sondern dass ich mich niemals verheiraten lassen werde«, raunte sie.
Tom beugte sich zu ihr hinunter und presste seine Lippen auf ihren Mund, den sie ihm zum Kuss anbot.
Nach einer halben Ewigkeit löste er seine Lippen von den ihren und sah sie zärtlich an. »Ich habe noch etwas zu erledigen. Mach es dir gemütlich im Haus. Bin bald wieder da!«, sagte er heiser.
»Du suchst nicht zufällig einen Mann in Napier?«, fragte Ahorangi.
Tom nickte.
»Sei vorsichtig.« Besorgnis sprach aus ihrer Stimme. »Er ist ein Tier!«
»Mach dir keine Sorgen, ich werde mich keiner Gefahr aussetzen, und zum Mörder werde ich auch nicht, es sei denn …« Er stockte. »Dieses Schwein hat dich doch nicht etwa …?«
»Nein, hat er nicht. Er hat es versucht, aber ich bin stark. Glaub mir. Ich war die beste Kriegerin meines Ortes.« Sie deutete auf die Muskeln ihrer nackten Arme. »Du erkennst ihn daran, dass er eine Narbe über dem Auge hat. Als er sich nachts in mein Bett schleichen wollte, habe ich ihm einen Wasserkrug an den Kopf geschmissen. Er wollte mich umbringen, und nur der gute Preis, den der Farmer für mich zahlen wollte, hat ihn davon abbringen können. In mein Bett hat er sich nicht mehr gewagt.«
Tom musterte sie mit einer Mischung aus Bewunderung und Zärtlichkeit. »Dann sollte ich mich wohl erst in deine Nähe wagen, wenn du meine Frau bist!«
»Wir werden sehen!«, erwiderte sie lachend, um hastig hinzuzufügen: »Beeil dich bloß!«
M EEANEE , H AWKE ’ S B AY , A PRIL 1868
Ahorangi lebte nun bereits seit drei Monaten auf dem kleinen Weingut in unmittelbarer Nachbarschaft zum Anwesen der Maristenbrüder. Zum Heiraten waren sie und Tom allerdings noch nicht gekommen, denn im derzeit herrschenden Herbst mussten erst einmal die Trauben geerntet werden, was sie aber nicht davon abgehalten hatte, nach getaner Arbeit ihrer Leidenschaft zu frönen.
Ahorangi hatte viel Freude an ihrer Arbeit im Weinberg, sodass Tom lieber nebenbei selbst den Haushalt versorgte, anstatt es von ihr zu verlangen. Sie hatte ihr Bestes gegeben, auch beim Kochen, aber Tom war nun einmal ein Freund der deftigen Lammkeule und konnte dem im Erdofen zubereiteten Hangi nicht allzu viel abgewinnen.
Heute wollte Ahorangi ihm beweisen, dass sie auch anders konnte. Sie versuchte sich gerade an einem Lammbraten, während ihre Gedanken zu ihrer ersten Nacht
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