Die Maori-Prinzessin
abschweiften. Wenn sie nur daran dachte, wie leidenschaftlich sie einander geliebt hatten, durchfuhren kleine Feuerbrünste ihren Bauch. Sie stieß einen Seufzer aus und hob den Kopf. Der Blick über die herbstlichen Weinberge, die in allen nur erdenklichen Farben funkelten, ließ ihr Herz noch weiter aufgehen. Ihr kam das alles wie ein Wunder vor. Dass sie, die Prinzessin, deren Leben derart vorbestimmt gewesen war, aus freien Stücken bei diesem Mann lebte und unendlich glücklich war. Als sie ihn in der Ferne arbeiten sah, traten ihr Tränen der Freude in die Augen. Sie wartete darauf, dass sich ihr schlechtes Gewissen meldete, weil sie ihrem Stamm den Rücken gekehrt hatte, doch sie empfand nichts als Glück. Hier fühlte sie sich zu Hause und geborgen.
Sie merkte gar nicht, dass sie leise zu singen begonnen hatte. Erst als der Hund jaulte, wurde ihr bewusst, dass sie ein Lied ihres Volkes angestimmt hatte.
Da klopfte es an der Hintertür und der Maristenbruder Pierre trat ein. Er wollte Tom wegen eines Weinstocks sprechen, aber als Ahorangi ihm einen Tee anbot, nahm er dankend an. Sie setzte sich zu ihm.
»Hast du es dir inzwischen überlegt, ob du dich vor der Hochzeit taufen lassen möchtest?«, fragte Bruder Pierre und musterte sie prüfend.
Ahorangi zuckte die Achseln, denn nicht nur die anstehende Weinernte, sondern auch diese Frage hatte sie bislang vom Heiraten abgehalten.
»Ich weiß nicht. Auf der einen Seite würde ich es Tom zuliebe gern auf mich nehmen, aber ich habe seit Tagen diese schrecklichen Alb …« Sie unterbrach sich erschrocken. »Also, ich bin mir nicht sicher.« Ahorangi mochte den Maristenbruder, und im Grunde ihres Herzens hätte sie sich ihm auch gern anvertraut. Er strahlte so viel Liebe und Güte aus. Er wirkte überaus lebenserfahren und reif, war wie ein Vater zu ihr. Im Grunde genommen war er der ideale Gesprächspartner für ihr Problem, denn Tom wollte sie nicht damit belasten. Es würde ihm unnötig das Herz beschweren, weil er ihr in dieser Angelegenheit nicht helfen konnte.
Ahorangi heftete den Blick auf den Küchenboden und räusperte sich. »Ich träume oft von meiner Taufe. Immer denselben Traum. Alles ist friedlich, und ich wiege mich in Sicherheit. Mir kann nichts mehr geschehen, weil ich mich meinem Vater widersetzt habe. Doch in dem Augenblick, in dem alles vollbracht ist, betritt er mit seinen Kriegern die Kirche und verflucht meine Nachkommen. Es ist so schrecklich …« Sie begann zu zittern.
»Ist dein Vater denn wirklich so streng und unversöhnlich? Viele Maori sind inzwischen getauft. Vielleicht glaubst du nur, dass er es dir niemals verzeihen würde.«
»Ich weiß es. Mein Vater hasst die Pakeha samt ihrer Sitten und Gebräuche. Für ihn sind es Eindringlinge, die es zu bekämpfen gilt. Er hat in Waikato gegen die britischen Soldaten gekämpft und wird es immer wieder tun. Einerseits verstehe ich ihn sogar. Sie werden nicht ruhen, bis sie uns den letzten Flecken Erde genommen haben, andererseits liebe ich Tom über alles und habe bislang wenig Ablehnung der Pakeha gegen mich gespürt, bis auf ein paar britische Ladys unten in Napier, die zu tuscheln anfangen, wenn sie Tom und mich Arm in Arm treffen.«
»Dann, mein Kind, musst du dich wohl entscheiden. Wir können euch nur trauen, wenn du ebenfalls getauft bist. Denke noch einmal darüber nach, ob du deinem Traum so viel Macht einräumen darfst.«
Ahorangi hob ihren Kopf. »Ich wünsche mir nichts sehnlicher als das, aber ich kann nichts dagegen tun. Selbst wenn ich beim Einschlafen vor Mut und Zuversicht nur so strotze, am nächsten Morgen wache ich schweißgebadet auf und bibbere vor Angst.«
Bruder Pierre kratzte sich nachdenklich am Kinn. »Dann müssen wir uns eben etwas einfallen lassen, damit du Tom ohne Taufe heiraten kannst. Die Frage ist nur, was? Vielleicht lasst ihr euch nur vom Friedensrichter trauen und wartet mit der Entscheidung, bis ihr Eltern werdet.«
»Früher oder später muss ich Farbe bekennen«, seufzte Ahorangi. »Und wenn ich auch nur den Funken einer Hoffnung hätte, dass Vater mir die Taufe sowie die Eheschließung mit Tom je verzeihen könnte, ich würde nicht zögern. Ich ahne doch, was es Tom bedeuten würde, von Ihnen getraut zu werden. Er verehrt Sie wie einen Vater.«
Bruder Pierre lächelte. »In gewisser Weise bin ich das auch. Wenn ich an unsere erste Begegnung denke. Tom war noch ein halbes Kind, als er in Dunedin eintraf und sich in den Kopf gesetzt hatte,
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