Die Maori-Prinzessin
Sie brachten uns an unterschiedliche Orte. Sie sollte hoch in den Norden verkauft werden …« Ahorangis Stimme brach und sie fing an, leise zu weinen. Dieses Mal gab Tom seinem Bedürfnis, sie zu trösten, nach. Er sprang vom Pferd, legte die Arme um sie und zog sie an sich. Eng umschlungen standen sie eine Weile da, bis sich Ahorangi aus der Umarmung löste.
»… ich werde sie niemals wiedersehen. Und ich will nicht zurück, denn Hehu ist wie ein Bruder für mich. Ich kann nicht seine Frau werden. Und da ist noch etwas …« Ahorangi stockte, bevor sie hastig fortfuhr: »… sie wollten mir an dem Tag das Moko ins Gesicht schaben.«
»Moko? Ist das eure Tätowierung?«
Ahorangi nickte. »Leider, in unserem Stamm ist das üblich. Es gibt andere, die diesen Brauch nicht pflegen, aber Vater platzt vor Stolz auf unsere Ahnen. Sie sollen dabei gewesen sein, als das erste englische Schiff unsere Küste erreicht hat. Ich habe mich allerdings noch nie danach gesehnt, dass meine glatte Haut vernarbt und rau wird. Mein Vater hingegen würde niemals gestatten, dass ich auf das Moko verzichte. Und ich bin sein ältestes Kind. Er wäre beinahe zum ersten König gewählt worden und für ihn ist es unvorstellbar, dass ich nicht genauso versessen darauf bin, unsere Zeichnung für jedermann sichtbar und voller Stolz zu tragen.«
Zärtlich fuhr Tom Ahorangi über ihre zarten Wangen.
»Ich kann dich verstehen. Du bist wunderschön, so wie du bist.«
»Dann wirst du mich also beschützen, damit sie mich nicht zu dem Moko zwingen und ich nie heiraten muss?«
Tom zog seine Hand zurück, als habe er sich an ihren Wangen verbrannt. Die Heftigkeit, mit der sie diese Worte hervorgestoßen hatte, ließen keinen Zweifel daran, dass sie nicht nur die Heirat mit dem Maori verabscheuen würde …
»Lass uns weiterreiten«, murmelte er und half ihr wieder aufs Pferd. Er ärgerte sich über sich selbst. Was hatte er sich bloß eingebildet? Dass diese exotische Fee Frau eines deutschen Auswanderers würde, nur, weil er sie vor dem Farmer gerettet hatte? Er überlegte, ob es nicht besser wäre, anzuhalten und sie ihrem Schicksal zu überlassen. Die Vorstellung, mit diesem bezaubernden Wesen unter einem Dach zu leben und sie nicht berühren zu dürfen, würde ihn früher oder später in den Wahnsinn treiben. Dabei erregte es ihn doch schon, dass sie vor ihm auf dem Pferd saß und er sie umfasste, damit sie nicht vom Gaul fiel. Das machte ihn nur noch missmutiger. Wenn er nur geahnt hätte, wie angenehm Ahorangi seine Hand an ihrer Taille war, er wäre der glücklichste Mann auf Erden gewesen.
Ahorangi aber genoss ihr kleines Glück schweigend. Es gefiel ihr ausnehmend gut, mit diesem Pakeha gemeinsam über die Ebene zu reiten und in der Ferne die Sonne auf dem Meer glitzern zu sehen. Der hochgewachsene Fremde mit seinem sonnengebräunten Gesicht und dem dichten blonden Haar löste in ihr eine Lawine unbekannter Gefühle aus. Wie vorhin, als er sie in den Arm genommen hatte. Sie hatte sich ehrlich beschützt gefühlt. Bei Hehu hatte sie so etwas nicht empfunden. Aber der hatte sie ja auch nie auf diese besondere Weise in den Arm genommen. Und er hatte sie auch niemals so angesehen wie dieser Mann. Hehus Blick hatte stets etwas Flehendes gehabt. Er hatte zu ihr aufgesehen, sie bewundert … aber aus den Augen dieses Mannes sprach eine Mischung aus Leidenschaft und Zärtlichkeit. In diesem Augenblick fiel ihr ein, dass sie ihn noch nicht einmal nach seinem Namen gefragt hatte. Das würde sie nachholen, sobald sie bei seinem Haus angekommen waren. Die Aussicht, mit ihm unter einem Dach zu leben, ließ ihr wohlige Schauer durch den ganzen Körper rieseln.
»Dort vorne ist es! Sehen Sie!« Mit diesem Ruf holte Tom sie aus ihren schwärmerischen Gedanken.
»Das ist ja riesig!«, entfuhr es ihr begeistert.
Tom bog allerdings kurz vor dem großen Anwesen nach links und hielt schließlich vor einem kleineren weißen Holzhaus.
Ahorangi hüpfte aufgeregt vom Pferd und blickte sich um. Das große Anwesen war noch immer in Sichtweite.
»Das gehört mir leider nicht«, sagte Tom mit einem Anflug von Bedauern. »Das ist die Mission der Maristenbrüder aus Frankreich, aber sie haben es mir ermöglicht, in ihrem Schatten Wein anzubauen.«
»Was ist das? Wein?«
»Ein Getränk aus Trauben. Ich werde es dir nachher zum Probieren geben. Nun komm doch erst einmal ins Haus.« Er öffnete die Gartenpforte und ließ ihr den Vortritt.
Ahorangi verliebte sich
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