Die Maori-Prinzessin
mich, dass du uns hilfst«, ergänzte Daniel. Seine Wangen glühten vor Begeisterung.
Berenice hingegen konnte kaum verbergen, dass sie förmlich vor Neugier brannte, doch sie verbiss sich die Frage, die ihr offenbar auf der Zunge lag.
Eva atmete auf, als sie schließlich allein im Zimmer zurückblieb. Ihr waren derartige Streitereien völlig fremd. Zu Hause war es immer ruhig zugegangen. Alle hatten Rücksicht auf ihre Mutter genommen. Niemals hätte sie sich mit ihrem Bruder solche Gefechte geliefert wie Adrian und Berenice. Wozu auch? Sie waren sich in allem einig: In ihrer Sorge um die Eltern. Über den Gemütszustand der Mutter und um die Gesundheit des Vaters, dem die viele Arbeit und der Kampf um sein Weingut aufs Herz geschlagen waren wie der Arzt ihr einmal gesagt hatte.
Doch das war nicht alles, was ihr im Kopf herumspukte. Nein, auch der Gedanke an Adrian nahm immer mehr Raum ein. Sie liebte die Art, wie er sprach, seine Stimme, sein bedachtes Wesen, seine dunklen Locken, den Blick, mit dem er sie ansah, wenn er glaubte, sie merke es nicht … aber sie wollte auf keinen Fall – nicht einmal vor sich selbst – zugeben, was ihr Herz längst wusste: Sie hatte sich in Adrian Clarke verliebt! Es ist nichts, sprach sie sich entschieden zu, er ist eben ein attraktiver Mann, mehr nicht.
In dem Augenblick, in dem sie gerade so verzweifelt versuchte, sich ihre Gefühle auszureden, ging ihre Zimmertür einen Spalt weit auf.
Adrian!, war ihr erster Gedanke und ihr Herz klopfte bis zum Hals. Ihre Enttäuschung war groß, als sie in Berenices missmutiges Gesicht blickte.
»Freu dich nicht zu früh, deutsches Cousinchen! Du bist schneller wieder zurück in Old Germany, als du dir vorstellen kannst. Dafür sorge ich!«, schnaubte Berenice verächtlich. Dann klappte die Tür wieder zu.
Wenn sie nur wüsste, für wen mein Herz schlägt und dass es nicht ihr Daniel ist, dachte Eva und setzte sich entschieden an den Schreibtisch. Sie wollte den Brief an ihren Vater beenden, damit sie ihn morgen auf dem Weg zur Bold Winery wegschicken konnte. Sie freute sich sehr darüber, dass die beiden sie mitnehmen wollten, und die Vorstellung, womöglich an der Inneneinrichtung mitzuwirken, erfüllte sie mit Stolz. Nun aber musste sie sich auf den Brief konzentrieren, doch so sehr sie sich bemühte, immer wieder schlich sich Adrian in ihre Gedanken. Die Worte wollten ihr einfach nicht aus der Feder fließen. Auch scheute sie plötzlich davor zurück, ihrem Vater die Wahrheit zu schreiben. Dass die Familie Bold bis auf Adrian und Großmutter Lucie grässlich war. Jeder Satz kostete sie große Mühe. Und das, obwohl es ihr ansonsten leichtfiel, ihre Gedanken in Worte zu fassen. Eva seufzte. Es lag wohl daran, dass sie nicht bereit war, ihrem Vater ihre ehrlichen Gefühle mitzuteilen. Als sie endlich fertig war, las sie seufzend, was sie zu Papier gebracht hatte. Es war eine Reisebeschreibung des Städtchens Napier mit seiner Marine Parade, dem Ausblick vom Bluff Hill, der Innenstadt mit den typisch überdachten Gängen, die dadurch entstanden, dass jeweils im ersten Stock der Häuser eine Überdachung bis zum Rand der Straße errichtet worden war. Kein Wort über die Menschen, die hier lebten und die ihr das Leben schwermachten, kein Wort über die Menschen, die hier lebten und die ihr, ob sie es wollte oder nicht, am anderen Ende der Welt das Gefühl von Heimat gaben.
Sie hatte einen fast schwärmerischen Ton angeschlagen. Napier war nicht nur nett anzusehen, sondern »entzückend beschaulich«, der Ausblick vom Bluff Hill war nicht nur weit, sondern »gigantisch« und »überwältigend«, die überdachten Gänge nicht nur praktisch, sondern »von einer kuscheligen Geborgenheit«. Bei all diesen Superlativen las sich der letzte Satz wie ein Fremdkörper: »Mein größter Wunsch ist, so schnell wie möglich von hier wegzukommen!«
Eva stieß einen tiefen Seufzer aus, während sie diesen Satz strich und den übrigen Brief auf ein leeres Blatt übertrug. Nun blieb eine Liebeserklärung an eine kleine Stadt in Neuseeland übrig. Und Eva konnte sich nicht helfen. Etwas anderes würde sie an diesem Tag nicht mehr zustande bringen. Hastig faltete sie den Brief und steckte ihn in einen Umschlag.
N APIER , D EZEMBER 1930
Schon beim Aufwachen hatte Eva ein mulmiges Gefühl. Es war einfach zu schön, um wahr zu sein, dass Adrian und Daniel sie mit zur Bold Winery nehmen wollten. Wer weiß, was dieser Plan im Hause Thomas auslösen
Weitere Kostenlose Bücher