Die Maori-Prinzessin
lautlos angeschlichen haben musste.
Helen zuckte zusammen, doch Eva baute sich kämpferisch vor der Tochter des Hauses auf. »Was treibt dich um? Meinst du nicht, wir sollten versuchen, miteinander auszukommen? Oder macht es dir Spaß, ständig dein Gift zu verspritzen?«
»Nicht unbedingt, aber ich hoffe, dass du eines nicht allzu fernen Tages genug davon hast und freiwillig wieder verschwindest.«
»Das hättest du gleich sagen sollen. Dann hättest du dir deine ganzen gehässigen Bemerkungen sparen können. Ich habe meinem Vater bereits geschrieben, dass ich mir nichts sehnlicher wünsche, als dass er mir das Geld fürs Ticket nach Amerika schickt. Also, keine Sorge, ich bin schneller weg, als du blinzeln kannst«, stieß Eva wutschnaubend hervor.
»Das verändert die Lage allerdings. Dann werde ich ab sofort aufhören. Unter einer Bedingung: Du versprichst mir in die Hand, dass du den schnellen Abflug machst.«
»Nichts lieber als das!«, zischte Eva.
»Deine Hand darauf!«
Stöhnend schlug Eva ein.
»Vorsicht, sie ist hinterhältig!«, flüsterte Helen, kaum dass Berenice außer Hörweite war. »Wir waren in einer Klasse. Sie war das hochnäsigste Mädchen der ganzen Schule. Meine Mutter hat immer gesagt, ich solle nicht so streng über das arme Mädchen urteilen.«
»Armes Mädchen? Was meinte sie damit?«
»Das habe ich meine Mutter auch gefragt, aber sie wollte es mir nicht sagen, weil Misses Bold ihr versprochen hatte, dass ich bei ihr arbeiten könne, wenn die Schule vorbei sei.«
»Ist ja auch egal. Ich bete, dass Vater mich schnellstens zu sich holt. Hier möchte ich keinen Tag länger bleiben, als ich muss.« So überzeugend Eva diesen Satz auch hervorpresste, ihre inneren Zweifel, ob es sie wirklich so sehr aus Napier fortzog, wurden immer stärker.
In diesem Augenblick näherte sich eine grauhaarige Frau, die etwas gebückt ging und die Eva bislang noch nicht im Haus gesehen hatte. Sie aber kam auf Eva zu und schüttelte ihr die Hand.
»Sie sind also die Verwandte aus Deutschland, von der Misses Lucie mir eben bei meiner Rückkehr aus Meeanee als Erstes berichtet hat.«
»Eva Schindler«, sagte sie.
»Und ich bin Stella, einst Haushälterin, dann Kindermädchen und mittlerweile Faktotum in diesem Haus. Mit meinen morschen Knochen tauge ich nicht mehr für die Hausarbeit, aber dank Misses Lucies Fürsprache darf ich unter ihrem Dach wohnen, auch ohne dass ich zu etwas nutze bin.« Sie näherte sich Eva vertraulich und fuhr flüsternd fort. »Ich bin aber viel lieber allein in Meeanee. Nur wenn es unbedingt sein muss, komme ich in die Stadt. Wenn ich zum Arzt gehen muss wie heute. Oben auf dem Berg herrscht himmlische Ruhe. Sie müssen mich einmal besuchen.«
Eva versprach es der alten Dame.
»Und was hat man Ihnen aufgetragen, mein Kind?«
»Ich soll den Wirtschaftsraum putzen.«
»Der Wirtschaftsraum? Den habe ja nicht einmal ich je von innen gesehen. Und ich arbeite seit … lassen Sie mich überlegen, … ja, seit über fünfzig Jahren für Misses Lucie. Hat sie Ihnen den Auftrag erteilt?«
»Nein, das war Misses Thomas.«
»Merkwürdig, merkwürdig«, murmelte Stella und schlurfte davon.
Als Eva die Tür zum Wirtschaftsraum, der in einem Nebengebäude lag, öffnete, trat sie vor Schreck einen Schritt zurück. Aus dem stockdusteren Raum schlug ihr widerlich warmer Mief entgegen und eine Ratte huschte ihr über die Füße.
Eva überlegte. Sollte sie wirklich an diesem herrlichen Sommertag in diese finstere Höhle kriechen? Sie atmete tief durch und öffnete die Tür, so weit sie konnte. Das warf etwas Licht in den dunklen Schuppen. Und Eva konnte erkennen, dass es ein Fenster gab, das mit einem Holzladen verschlossen war. Trotz der Spinnweben, die sich durch den Raum zogen, ging Eva zielstrebig zum Fenster, öffnete die schwergängigen Läden und riss das Fenster auf. Nun strömte der Sommer herein und offenbarte das ganze Chaos, das in diesem vergessenen Raum herrschte. An den Wänden waren Borde aus dickem Holz, die mit lauter merkwürdigen Dingen vollgestellt waren. Beim näheren Hinsehen erkannte sie eine dicke Staubschicht, die über all diesen Sachen wie eine graue Decke lag.
Eva stieß einen tiefen Seufzer aus, doch dann packte sie beherzt zu. Sie räumte Bord für Bord aus und säuberte es. Dann stellte sie die sauberen Gegenstände einzeln zurück. Nicht bei allem, was durch ihre Hände ging, wusste sie, was es war. Ein ganzes Bord war voller Flaschen und allerlei
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