Die Maori-Prinzessin
Weinbau-Zubehör, wie sie es von zu Hause kannte. Auf einem anderen lag ein in brüchiges Wachspapier gewickelter gelber Rock aus Flachs. Eva ahnte, dass es derselbe war, den Lucie oder Ahorangi, wie sie damals noch geheißen hatte, an dem Tag getragen hatte, an dem man sie entführt hatte. In einer kleinen Kiste fand sie langes, schwarzes, glattes Haar, stark wie Rosshaar. Ob es auch ihr gehörte? Bei einem Blick in die nächste Kiste erstarrte sie. Darin waren lauter kleine Kästen, die wie Särge aussahen. Eva zuckte zurück und wollte die Kiste zurückstellen, aber dann griff sie doch nach einem der kleinen Behältnisse. Darinnen lag eine auf rotem Samt gebettete Locke.
Hastig klappte Eva den Deckel wieder zu und stellte den kleinen Sarg in die Kiste zu den anderen zurück. Ihr war unwohl. Sie wollte lieber gar nicht wissen, was sie in den anderen Spielzeugsärgen finden würde. Und vor allem, was diese bizarren Behältnisse zu bedeuten hatten.
Stattdessen stürzte sich Eva erneut in die Arbeit. Nachdem sie die eine Seite geschafft hatte, wandte sie sich den gegenüberliegenden Schränken zu. Sie traute sich kaum, etwas von diesen zumeist sehr alten Gegenständen wegzuwerfen, obwohl sie den Eindruck hatte, dass diese verrosteten Töpfe und das angeschlagene Geschirr niemals mehr Verwendung finden würden. Trotzdem säuberte sie jedes noch so vom Zahn der Zeit angefressene Stück sorgfältig und stellte es zurück an seinen Platz.
Als sie schließlich mit allem fertig war, betrachtete sie ihr Werk nicht ohne Stolz. Der Raum war immer noch nicht gerade anheimelnd, aber er sah ohne die Staubschicht und die Spinnenweben wesentlich ansprechender aus. Wie ein Vorratsraum eben. Vor allem waren nun auch die leeren Borde sauber, sodass man sie tatsächlich zur Lagerung benutzen konnte. Jetzt blieb nur noch der Boden, der ebenfalls mit einer dicken Schmutzschicht bedeckt war.
Eva versuchte, erst zu fegen und dann feucht zu wischen. Doch so sehr sie sich auch anstrengte, die Holzdielen sahen immer noch schäbig aus. Als sie in der hintersten Ecke angekommen war und eine Kiste beiseiteräumte, brach sie plötzlich mit dem rechten Fuß in den Boden ein. Das morsche Brett war einfach weggebrochen. Sie erschrak, rappelte sich aber hastig wieder auf und versuchte, ihren Fuß aus der Lücke zu ziehen. Nachdem sie es geschafft hatte, legte sie sich auf den Boden und warf einen Blick in die Tiefe. Merkwürdig, dachte sie, darunter gibt es noch einen Hohlraum. Ob es dort in einen Keller ging? Sofort erwachte ihr Interesse und sie hätte gern erfahren, wie das Haus aufgebaut war. Sie nahm sich vor, Adrian zu fragen, wo der Eingang zum Keller war. Nachdem sie schon den Wirtschaftsraum wieder brauchbar gemacht hatte, würde sie zumindest gern einen Blick in die Unterwelt des Hauses wagen. Und vielleicht gab es ja dort auch etwas zu tun.
Damit der nächste Besucher des Wirtschaftsraumes aber nicht in die Tiefe stürzte, wuchtete sie die schwere Kiste zurück über das Loch im Boden. Sie war gerade fertig, als sich hinter ihr Tante Joanne räusperte. Eva fuhr herum, im Kopf die bange Frage, was die Tante ihr als Nächstes auftragen würde, denn sie war erschöpft. Ihr Rücken schmerzte, ihre Knie taten weh, und sie hatte das dringende Bedürfnis, ein Bad zu nehmen, um den Schmutz abzuwaschen. Obwohl Helen ihr eine Schürze gegeben hatte, waren nicht nur ihr Kleid, sondern auch ihre nackten Arme und Beine völlig verdreckt.
Zu ihrem großen Erstaunen lächelte Tante Joanne zufrieden und stieß einen anerkennenden Pfiff aus. »Mein Kind!«, rief sie begeistert aus. »Du hast ein wahres Wunder vollbracht. Nun muss zwar noch der ganze alte Plunder fort, aber so kann man ihn wenigstens anfassen und wegwerfen. Wir brauchen den Raum dringend für unseren Haushalt. Und Mutter hat all die Jahre keinen Blick hineingeworfen. Das ganze Zeugs wird bestimmt nicht mehr benötigt. Ich denke, wir lassen den Krempel einfach abholen!«
Eva verkniff sich zu sagen, dass sie diese Entscheidung wohl lieber Lucie überlassen sollte, aber es stand ihr nicht zu, sich einzumischen. Trotzdem fragte sie sich, was zwischen Mutter und Tochter wohl geschehen sein mochte, dass sie gar keine spürbare Herzensverbindung zueinander hatten. Eva vermutete, dass es an Joanne lag, denn Lucie war eine so warmherzige Frau, die ihrer Tochter bestimmt nicht grundlos aus dem Weg ging. Es hing sicher mit dem zusammen, was auch Lucie bereits angedeutet hatte. Lucie hatte
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