Die Maori-Prinzessin
ständig in Beschlag nahm und sie die Abende brauchte, um ihre hingekritzelten Notizen in die Maschine zu tippen. Ihre Schreibmaschinenkünste reichten nicht aus, um mit Lucies Erzähltempo Schritt zu halten. Deshalb war sie dazu übergegangen, in eine Kladde mit der Hand zu schreiben. Sie versuchte erst gar nicht daran zu denken, dass sie sich diese Mühe machte, damit Adrian in den Genuss dieses wertvollen Geschenks kam. Gerade hatte sie im Auftrag von Lucia die Weihnachtskarte an ihn geschrieben. Seine Großmutter deutete ihm durch die Blume an, dass es um ihr Lebensgeheimnis gehe, das sie ihm in fertiger Form am Tag seiner Abreise nach Wellington aushändigen werde. Lucie musste nur noch unterschreiben. Ihre Augen wurden immer schlechter, sodass sie alles Schriftliche inzwischen Eva überließ. Gern wollte Eva ihr zuliebe die Arbeit noch zu Ende bringen, auch wenn sie jeden Tag voller Ungeduld den Postboten fragte, ob endlich etwas für sie dabei wäre. Sie hatte den Eindruck, dass sie ihm inzwischen leidtat, weil er die Frage immer verneinen musste. Inzwischen sehnte sie sich förmlich danach, dieses Haus und dieses Land zu verlassen. Wenn sie erst einmal in Kalifornien war, würde sie bestimmt keinen Gedanken mehr an Adrian verschwenden.
Seufzend zog Eva ihr Seidenkleid glatt und griff nach der Karte und den kleinen Geschenken, die sie sich von ihrem Geldbeutel hatte leisten können. Nur für Lucie, die sie immerhin gut bezahlte, hatte sie ein wenig mehr investiert. In einem Maori-Geschäft hatte sie ein wunderschönes Hei-tiki aus Greenstone entdeckt und es sofort erstanden. Das Amulett war nicht billig gewesen, aber da Eva vermutete, dass Lucies Ornament bei dem Brand zerstört worden war, konnte sie nicht anders. Sie wollte Lucie ihr verlorenes Hei-tiki wiedergeben!
Als Eva in Lucies Zimmer trat, blieb ihr der Mund offen stehen. Die alte Dame trug ein dunkles Kleid, auf dem Pailletten funkelten. Ihr Haar hatte sie zu einem Knoten zurückgebunden und ihn mit silbernen Spangen festgesteckt. Sie strahlte Stolz und Unnahbarkeit aus.
»Du siehst aus wie eine Prinzessin!«, stieß Eva begeistert hervor.
»Ach, wenn ich schon da hinunter muss, dann will ich mich wenigstens gut fühlen«, erwiderte Lucie selbstsicher. »Gibst du mir deinen Arm?«
Mit hocherhobenem Kopf schritt Lucie an Evas Arm den langen Flur entlang. Es herrschte einen Augenblick Schweigen, als sie gemeinsam ins Esszimmer kamen.
Doch dann sprang Adrian auf und reichte seiner Großmutter den Arm. »Komm, ich bringe dich zu deinem Platz!« Er führte sie zu dem Stuhl am Kopf der Tafel und setzte sich zurück neben Margret, wie Eva aus dem Augenwinkel wahrnahm.
Nachdem Eva die Geschenke in die wenigen noch leeren Strümpfe am Kamin gesteckt hatte, ging sie zu ihrem Platz, der gegenüber von Margret und links neben Daniel war. Der zuckte merklich zurück, als sich beim Hinsetzen ihre Arme berührten. Er nickte ihr kurz zu und wandte sich dann wieder der Tochter des Hauses zu. Berenice schien an diesem Abend besonders aufgedreht, denn sie plapperte ohne Unterlass auf Daniel ein, der zu ihrer Linken saß. Erst als ihre Mutter sich erhob und mit der Gabel zart an ihr Glas klopfte, um zu signalisieren, dass sie eine Rede halten wollte, hielt sie endlich ihren Mund.
Tante Joanne begrüßte ihre Gäste und ganz besonders ihre alte Freundin Rosalyn und deren Tochter. Und sie verkündete, dass ihr Sohn Adrian während seines Studiums in Wellington bei den beiden wohnen würde.
Eva warf einen verstohlenen Blick zu ihm hinüber, aber er verzog keine Miene, während Margret über das ganze Gesicht strahlte. Keine Frage, sie ist in ihn verliebt, dachte Eva und wandte sich abrupt ab. Sie musste sich immer wieder sagen, dass es ihr egal sein könnte, da sie ohnehin bald fort sein würde.
Außer Großmutter Lucie, die ebenfalls schweigend aß wie sie selbst, waren alle bei Tisch in launige Gespräche vertieft. Sogar der sonst eher wortkarge Doktor Thomas unterhielt sich angeregt mit Rosalyn. Eva vermutete, dass es am Wein lag, der reichlich zum Essen genossen wurde und den der Doktor wie Wasser hinunterstürzte. Aber auch Eva trank schneller, als es gut für sie war. Sie fühlte sich schrecklich einsam inmitten dieser Gesellschaft. Wie eine Außenseiterin, die von allen gemieden wurde. Dabei hatte sie es sich doch selber zuzuschreiben, dass Daniel ihr gegenüber Zurückhaltung an den Tag legte. Wenn sie ihn seinerzeit nicht so angefahren hätte, würde er
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