Die Maori-Prinzessin
Tochter unwirsch zu sich heran. Mit verzerrtem Gesicht schrie er sie an. Ahorangi, die immer noch von Hehu festgehalten wurde, begann zu weinen. »Vater, nicht! Nicht meine Kinder, bitte nicht«, schluchzte sie, doch er hob die Hände zum Himmel und beschwor etwas, das Tom nicht verstehen konnte.
Tom überlegte fieberhaft, was er tun sollte, ohne seine Frau in Gefahr zu bringen. Da sah er, wie Hehu Ahorangi losließ und sie ihm in demselben Augenblick in einem Überraschungsangriff die Waffe entwand.
In dem Moment, als der Häuptling begriff, was geschehen war, zielte er auf Tom und wollte abdrücken, doch in derselben Sekunde ertönte ein Knall, und der Häuptling fiel kopfüber in die Grube. Hehu sprang mit einem Schrei hinterher.
Tom rannte auf Ahorangi zu und riss sie an sich. Sie ließ die Muskete fallen und presste sich an Toms Brust. Die beiden hielten einander fest wie zwei Ertrinkende. Erst Hehus Stimme holte sie in die Wirklichkeit zurück.
»Der Häuptling ist bei den Ahnen!«
Die Liebenden fuhren auseinander und sahen zu, wie Hehu aus der Grube kletterte. In der Hand Kanahaus Muskete.
Tom nahm Ahorangi noch fester in den Arm. Sie aber befreite sich und schlug die Hände vor das Gesicht. Langsam, ganz langsam, begriff sie, was sie getan hatte. Ein mörderischer Schrei entrang sich ihrer Kehle.
N APIER , 25. D EZEMBER 1930
Eva war Adrian seit seinem Geburtstagsfest so gut sie konnte aus dem Weg gegangen. Und wenn sie einander begegneten, was sich unter einem Dach nicht vermeiden ließ, war sie kurz angebunden. Anfangs hatte er sich nach Kräften bemüht herauszufinden, warum sie ihm die kalte Schulter zeigte, aber irgendwann hatte er aufgegeben. Außerdem verbrachte er zunehmend mehr Zeit in Meeanee. Eva hatte es strikt abgelehnt, die beiden jungen Männer zum Weingut zu begleiten. Daniel bekam sie auch nur noch selten zu Gesicht. Gleich am Tag nach dem Fest hatte sie versucht, sich bei ihm zu entschuldigen, aber in dem Augenblick war wieder einmal die lärmende Berenice dazugekommen. Sobald sie Zeugin wurde, dass Eva und Daniel sich unterhalten wollten, benötigte sie angeblich Daniels Hilfe. Ob er ihr einen Korb tragen oder den Wagen ihrer Mutter einparken könne, sie appellierte immer an seine Hilfsbereitschaft, wenn er sich Eva zuwandte. Sie hatte ihn nur ein einziges Mal allein auf dem Flur getroffen und ihm zu erklären versucht, warum sie ihn so böse angefahren hatte. Daniel war sehr freundlich gewesen und hatte ihr versichert, es wäre vergessen. Und doch wurde Eva das Gefühl nicht los, dass er es ihr im Grunde seines Herzens immer noch übelnahm und vielleicht sogar ahnte, was wirklich in ihr vorging.
Deshalb hatte sie ihm schließlich ein kleines Geschenk gekauft, versehen mit einem Entschuldigungsschreiben. Jetzt konnte sie nur noch hoffen, dass Berenice es ihm nicht aus der Hand reißen und vor der versammelten Weihnachtsgesellschaft laut vorlesen würde.
Für Adrian hatte sie kein Geschenk besorgt. Wenn ihr etwas Unverfängliches eingefallen wäre, sie hätte es der Form halber getan, aber es war ihr alles zu persönlich und sie wollte nicht die Spur von Gefühl investieren. Am liebsten wäre es ihr natürlich gewesen, wenn ihre Zuneigung einfach erkaltet wäre; genau das geschah allerdings nicht. Im Gegenteil, jedes Mal, wenn sie seinen dunklen Lockenschopf nur aus der Ferne sah, beschleunigte sich ihr Herzschlag. Wie gut, dass ich es verbergen kann, dachte sie, während ihr Blick auf das Heft fiel, das sie trotz ihres Zornes auf Adrian um weitere Skizzen ergänzt hatte und das sie ihm eigentlich zum Geburtstag hatte schenken wollen. Nun lag es seit Tagen unberührt auf dem Tisch.
Ich werde es nach dem Fest wegwerfen, zusammen mit meinem alten Skizzenblock, beschloss sie, während sie sich missmutig das grüne Kleid anzog. Sie hatte keine Wahl. Weihnachten ließ Tante Joanne keine Ausreden gelten. Da hatte die ganze Familie bei Tisch zu erscheinen. Und zwar in Abendgarderobe. Samt der Großmutter und der armen deutschen Verwandten. Die Nachricht, dass zu diesem Weihnachtsessen Rosalyn und ihre Tochter Margret zu Besuch kommen würden, hatte Eva ungerührt aufgenommen. Allerdings hatte sie, während Tante Joanne diese Nachricht erfreut beim sonntäglichen Mittagessen verkündet hatte, verstohlen zu Adrian hinübergesehen. Der aber hatte keine Miene verzogen. Dass er so ein guter Schauspieler war, hätte sie nicht gedacht.
Immerhin litt Eva nicht unter Langeweile, weil Lucie sie
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