Die Maori-Prinzessin
Hysterische Ausbrüche brachten sie nicht weiter.
»Entschuldigen Sie, Mister, es tut mir so leid, ich habe gerade erst seine Mutter sterben sehen. Und ich habe solche Angst um ihn.«
Der Mann rang sich zu einem Lächeln durch. »Ich bin Mister MacFowler, der Direktor der Schule, und Sie sind bestimmt seine frischgebackene Braut, nicht wahr?«
»Ja, ich bin Eva Schindler, ich meine Clarke. Wir haben heute Morgen geheiratet. Aber in die Kirche gehen wir erst, wenn seine Großmutter zurück …« Sie stockte. Es war kein guter Zeitpunkt, um über das Hochzeitsfest zu sprechen. Wie alles andere, was heute Morgen noch ihr Herz bewegt hatte, war der Gedanke daran von den schrecklichen Ereignissen überrollt worden. Sie wollte lieber nicht daran denken, wie sie sich früher einmal ihren Hochzeitstag vorgestellt hatte …
»Das hat er mir in seinem Freudentaumel über die Einstellung an unserer Schule vorhin erzählt. Ich habe ihm für den Rest des Tages freigegeben und ihn für morgen zum Unterricht bestellt. Und deswegen ist er gegen Viertel vor neun mit einem Kollegen in dessen Wagen nach Hastings gefahren. Sein Ziel war dieses Kaufhaus, Roach’s Department Store, weil die eine Abteilung für Segler haben, und er wollte etwas für Sie besorgen …«
»Eine Mütze«, unterbrach Eva ihn. »Die Mütze hat ihm das Leben gerettet«, fügte sie ungläubig hinzu.
»Machen Sie sich keine Sorgen, Kindchen, er wird Sie suchen. Am besten gehen Sie zu Ihrem Haus oder was davon übrig geblieben ist, dort wird er Sie am ehesten suchen und …« Er unterbrach sich und blickte auf seine Uhr. »Na ja, zumindest wird er versuchen, sich nach Napier durchzuschlagen. Wir wissen ja nicht, wo das Erdbeben überall gewütet hat. Wahrscheinlich sind die Straßen beschädigt. Deshalb keine Sorge, wenn Sie ihn dort nicht vorfinden. Er wird kommen.«
»Danke, Mister MacFowler«, erwiderte Eva ergriffen, bevor sie sich an Hariata wandte. »Komm, wir machen uns auf den Weg!«
Die Maori zögerte. »Ich kann nicht einfach mit zu dir nach Hause kommen. Ich … wer weiß, wie deine Familie das findet, wenn du …«
»Du hast doch gehört, was Mister MacFowler gesagt hat, nicht wahr? Das Unglück betrifft uns alle, und dein Haus ist abgebrannt, deine Familie tot, also wohnst du bei mir, sofern noch etwas von dem schönen Haus steht.«
Eva zog Hariata mit sich fort. Schweigend gingen sie durch die Straßen. Je weiter sie sich der Cameron Road näherten, desto geringer waren die Zerstörungen an den alten viktorianischen Häusern. Das Einzige, was fast vor jedem Haus zertrümmert im Vorgarten lag, waren die Schornsteine. Manches Haus war auch schwerer getroffen. Eines war sogar völlig zerstört den Hang hinuntergerutscht und dann offenbar mit voller Wucht in ein anderes gerutscht. Von dem war auch nicht mehr viel übrig geblieben.
Eva schloss die Augen. Noch noch um eine Ecke und sie würde wissen, ob Lucies Zuhause noch stand. Der Gedanke an Lucie beruhigte Eva. Wahrscheinlich war in Meeanee gar nichts zerstört, und die Erde hatte nur ein wenig geschwankt. Sie atmete noch einmal tief durch, bevor sie die Augen öffnete. Erleichterung machte sich in ihr breit, als sie das Haus erblickte, wenngleich der Schornstein und ein Stück vom Dach fehlten. Beim Näherkommen wurden noch mehr Schäden sichtbar, besonders im Anbau. Dort war das Dach eingestürzt. Eva blieb vor dem Trümmerhaufen stehen und ließ ihren Blick schweifen. Ob Großmutter Lucies Schätze noch zu retten waren?, fragte sie sich. Sie wollte gerade weitergehen, als sie einen Fuß aus den Trümmern ragen sah. Ihr Herzschlag drohte auszusetzen. Sie klammerte sich panisch an Hariata, die stumm neben ihr wartete.
»Siehst du das auch?«, fragte Eva sie und deutete auf ihre grausige Entdeckung. Hariata nickte schwach. Eva fing an, mit bloßen Händen Trümmerteile beiseitezuschaufeln, um zu erfahren, wer da unter den Trümmern lag. Nach den Schuhen zu urteilen war es Doktor Thomas, doch Eva wollte Sicherheit. Sie grub weiter, bis sie den Körper freigelegt hatte. Es bestätigte ihren Verdacht. Es war Adrians Stiefvater!
In diesem Augenblick erklang aus dem Haus ein schauerliches Geheul. Eva fuhr zusammen, erhob sich und wankte mit zitternden Knien über die Vorderveranda ins Haus. Sie horchte. Zunächst war alles still, doch dann wiederholte sich das Geheul. Es kam aus dem Wohnzimmer. Eva öffnete mit klopfendem Herzen die Tür. Auf dem Boden bot sich Eva ein Bild des Schreckens. Dort
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