Die Maori-Prinzessin
über Neuseeland. Und außerdem hat ein Onkel von mir sein Leben 1915 in Gallipoli verloren. Im großen Krieg gegen euch, während der Bruder meiner Mutter sich geweigert hat, mit den Engländern zu kämpfen, und verhaftet wurde …«
»Ich habe schon verstanden, dass ich dir das nicht hätte erklären müssen, aber du hast recht. Ihr wisst vielleicht etwas über uns, die ›Hunnen‹, wie mich der Herr des Hauses in betrunkenem Zustand genannt hat, aber wir haben in der Schule vorrangig die Herrscher der Pfalz gepaukt.«
Hariata streckte Eva lächelnd die Hand entgegen. »Freundinnen?«
Eva schlug ein. »Freundinnen!«, wiederholte sie lächelnd.
»Seit wann bist du in Neuseeland?«
»Seit Anfang November«, erwiderte Eva.
»Und wer hat dir geholfen, so gut Englisch zu lernen?«
»Mein …« Sie zögerte. Sollte sie einer Fremden verraten, was noch nicht einmal die Familie wusste? Aber schließlich war es angesichts der Naturkatastrophe nicht mehr so wichtig … »mein Mann Adrian und seine Großmutter Lucie Bold, die übrigens Maori ist wie du!«
Hariata musterte Eva erstaunt. »Du wohnst im Haus von Misses Lucie Bold?«
»Ja, das tue ich. Kennst du sie?«
»Nicht persönlich, aber jeder Maori in Napier kennt Lucie Bolds Geschichte. Und ich denke, auch viele Pakeha. Lucie Bold ist bekannt wie ein bunter Hund!«
Eva wollte gerade neugierig nachfragen, da pochte es an die vordere Haustür. Sie sprang auf und öffnete. Vor der Tür standen einige Seemänner, die entweder Menschen oder Hausrat im Arm trugen.
»Wir sind von der ›MS Victoria‹, die zufällig am Westkai lag, und unsere Männer helfen, wo sie nur können. Wir haben Ihre Hausangestellte getroffen, die uns sagte, Sie könnten hier bedürftige Menschen aufnehmen.«
»Natürlich, kommen Sie nur rein.«
»Meinen Sie, wir können auch in Ihrem Garten Zelte aufstellen und eine Küche einrichten?«
»Natürlich, aber was wir dringend bräuchten, wäre ein Arzt. Wir haben eine verletzte Frau im Haus. Sie ist ohnmächtig, und ich weiß nicht, ob und wie man ihr helfen kann.«
»Das hat uns Ihre Haushaltshilfe schon gefragt, aber die Ärzte sind alle im Einsatz. Was meinen Sie, wie viele Menschen noch in der Innenstadt um ihr Leben kämpfen!«
»Ja, das verstehe ich. Vielleicht findet Helen einen …«
»Und wenn nicht, soll die Frau bloß durchhalten. Wir haben einige Funksprüche abgesetzt und Ärzte und Hilfsgüter aus Auckland angefordert.«
»Gut, dann lassen Sie uns anfangen.« Eva öffnete die Tür, so weit sie konnte, und bat die Menschen einzutreten. Die meisten blickten nur stumpf vor sich hin. Ihre Gesichter waren von dem Schock gezeichnet. Selbst die Kinder waren stumm. Es war gespenstisch anzusehen. Die Marinesoldaten hatten an die zwanzig Personen mitgebracht, davon die meisten Frauen oder alte Männer. Die jungen Männer wurden offenbar in der Stadt gebraucht, um nach Überlebenden zu suchen und die immer neu entstehenden Brandherde zu bekämpfen.
Eva und Hariata wurden nicht müde, Decken herbeizuschleppen und Nahrung anzubieten. Eva plünderte die Speisekammer, ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, dass das Essen womöglich für mehrere Tage reichen musste.
Gegen Mittag kehrte Helen erschöpft von ihrer vergeblichen Suche zurück. Sie hatte zu ihrem großen Bedauern keinen Arzt auftreiben können, der bereit war, für eine einzige Frau die vielen anderen Bedürftigen unversorgt zurückzulassen.
Eva warf Berenice einen besorgten Blick zu. Sie lag wie tot da, rührte sich nicht, doch sie lebte.
In diesem Augenblick hörte sie zwei vertraute Stimmen und ihr Herz machte einen Sprung vor Freude. Sie konnte es kaum glauben, aber es waren wirklich Lucie und Tante Ha. Eva flog Lucie in den Arm, doch dann machte sie sich hastig los.
»Wie konntet ihr nur Meeanee verlassen, um euch in dieses Inferno zu begeben?«, fragte sie vorwurfsvoll.
»Wir waren doch schon auf dem Weg, ohne zu wissen, was uns blüht, weil Lucie plötzlich Heimweh bekam und unbedingt nach Napier zurückwollte«, bemerkte Tante Ha entschuldigend.
»Und dann bebte die Erde, und wir sind panisch umgekehrt, doch dann haben wir unterwegs Leute getroffen, die uns berichtet haben, dass in der Missions-Kapelle in Maryvale einige Priester beim Beten vom Erdbeben überrascht und getötet worden sind. Die haben uns dringend abgeraten, nach Meeanee zurückzukehren, sondern lieber in der Stadt Schutz zu suchen«, bemerkte Lucie. Mit einem prüfenden Blick in Evas
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