Die Maori-Prinzessin
lag Berenice in einer verrenkten Haltung. Ihr Kleid war zerrissen, und sie trug nichts darunter. Das Gesicht hatte sie zu einer Fratze verzerrt und am Kopf blutete sie. Nicht auch noch sie!, dachte Eva verzweifelt, ging neben ihr in die Hocke und versuchte, Berenice, die sich nun schreiend von einer Seite auf die andere warf, festzuhalten. Doch sie wehrte sich und versuchte sogar, Eva in die Hand zu beißen. Berenice hatte ihre Augen geschlossen, wenngleich ihre Lider unruhig flatterten.
»Berenice, alles in Ordnung!«, sagte Eva leise, aber Berenice ballte die Fäuste: »Er soll weg! Er soll weggehen!« Ohne Vorwarnung trat sie zu und traf Eva mit voller Wucht an der Brust, sodass sie das Gleichgewicht verlor und nach hinten überkippte.
Entsetzt beobachtete Hariata, die Eva ins Haus gefolgt war, diesen ungleichen Kampf, stürzte sich auf Berenice und packte ihre Arme.
»Die ist ja gemeingefährlich«, bemerkte sie.
Eva hatte sich inzwischen aufgerappelt und befahl: »Komm, wir tragen sie zum Sofa!«
»Wenn wir das überleben, dann gern«, entgegnete Hariata und packte Berenice unter den Achseln. Eva nahm ihre Füße, und gemeinsam schleppten sie die junge Frau, die sich nun überhaupt nicht mehr rührte, zum Sofa. Eva presste ihren Finger auf Berenices Handgelenk, um sicherzugehen, dass sie noch lebte. Sie erschrak beinahe zu Tode, als sich Berenice in dem Augenblick aufbäumte und Eva aus panisch geweiteten Augen ansah. »Bitte, er darf nicht mehr ins Haus. Sag es meiner Mutter. Er hat mich in den Schuppen gelockt, und dort hat er es versucht, es war grausam. Er hat mich auf den Boden geworfen, er war betrunken … Dann hat die Erde gebebt, er hat mich eine Sekunde losgelassen. Und ich habe es geschafft, nach draußen zu rennen, doch da hat mich etwas am Kopf getroffen.«
Eva verschlug es die Sprache. Wenn sie Berenices Worte richtig deutete, dann hatte Doktor Thomas versucht, seine Stieftochter zu vergewaltigen! Was für ein Abgrund!
»Berenice, keine Sorge, er kann dir nichts mehr tun«, flüsterte Eva verschwörerisch, doch in dem Moment sackte Berenices Kopf zur Seite.
»Ist sie tot?«, erklang wie von ferne die Stimme der Hausangestellten Helen. Eva fuhr herum. »Nein, sie ist nur ohnmächtig. Hast du mitbekommen, was geschehen ist?«
»Ja, es war wie auf einem Schiff. Erst schaukelte es einmal ganz kurz. Ich habe geglaubt, ich hätte geträumt, doch dann erbebte das Haus. Ich dachte, die Welt geht unter. Und als alles wieder ruhig war und ich mich endlich vor die Tür getraut habe, da lag Miss Berenice vor der Veranda in ihrem Blut. Ich habe sie bis ins Wohnzimmer geschleift, aber dann hat mich die Kraft verlassen …«
»Ist gut, Helen, lauf du in die Stadt und versuche, Hilfe zu bekommen. Wir brauchen einen Arzt. Du findest bestimmt einen von ihnen im botanischen Garten. Und bitte, sag den Ärzten unsere Adresse und dass wir Platz für viele Menschen haben, und zu essen.«
»Gut, ich spute mich«, erwiderte Helen und lief los.
»Meinst du, sie überlebt das?«, fragte Hariata mit einem skeptischen Blick auf das wachsweiße Gesicht von Berenice.
Eva zuckte die Achseln. »Ich habe diese Familie, bis auf Adrian, nicht besonders gemocht, aber dass sie alle tot sind, das kann doch nicht sein. Berenice ist zäher, als wir glauben …« Sie stockte. Ihre, Gedanken schweiften zu Berenices ungeheuerlicher Behauptung ab, bevor sie in Ohnmacht gefallen war. Eva wollte ungern den Gedanken zulassen, dass es die Wahrheit gewesen sein könnte. Und doch sprachen die Indizien dafür. Berenice war untenherum völlig nackt. Wenn Eva sich vorstellte, Adrian würde davon erfahren, dann … Sie stutzte. Nein, aus ihrem Mund würde das keiner erfahren, denn das Schwein, das sich über Berenice hergemacht hatte, war tot. Und auch Tante Joanne konnte keiner mehr mit dieser Enthüllung das Herz brechen.
»Du bist nicht von hier, nicht wahr?«, fragte Hariata in die Stille hinein.
»Nein, ich komme aus Deutschland. Das ist ein Land in Europa, gar nicht weit von England«, erklärte Eva, während sie Berenice das Kleid über die Beine zog und sie in eine Decke hüllte.
»Für was hältst du mich eigentlich? Für eine unwissende Eingeborene?«, fragte Hariata in scharfem Ton.
Eva fuhr erschrocken herum. »Nein, warum?«
»Weil du mir gerade wie einem kleinen Kind erklären wolltest, wo Deutschland liegt! Das hat man mir schon in der Schule beigebracht. Wahrscheinlich wussten wir wesentlich mehr über Europa, als ihr
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