Die Maori-Prinzessin
berichtet habe, dachte Harakeke.
»Du wirst keine Ruhe geben, nicht wahr?«, seufzte Tante Ha und blies Lucie den Rauch so entgegen, dass sie in eine Qualmwolke eingehüllt war.
Als diese sich verzogen hatte, blickte sie Lucie fest in die Augen. Wie viele lange Jahre hatte sie gebraucht, um nicht den Namen Ahorangi zu denken, wenn sie über die Schwester nachgrübelte. Doch sie hatte es ihr einst versprochen, sie wie alle anderen bei ihrem Pakeha-Namen Lucie zu nennen. Für Harakeke war es bis heute eine ungeheuerliche Vorstellung, einen Maorinamen aufzugeben. Noch heute fragte sie sich, was ihr Vater, der alte Häuptling, wohl dazu gesagt hätte. Und wie immer, wenn ihre Gedanken zu dem Herrscher über ihren einstigen Stamm schweiften, fragte sie sich, wie ein so imposanter Mann spurlos verschwinden konnte, wenn er nicht doch ermordet worden war. Manchmal beschlich sie der Verdacht, dass ihre Schwester mehr über Kanahaus Verschwinden wusste, als sie zugeben wollte … Wie bereitwillig sie damals dem Mann Unterschlupf gewährt hatte, der als sein Mörder galt …
»Nun spann mich doch nicht so schrecklich auf die Folter!«, empörte sich Lucie lautstark über Harakekes Schweigen.
»Ist ja schon gut. Also, Eva hat viel Blut verloren. Sie hat sich verausgabt, ohne auf ihren Kopf zu achten. Nun hat sie einen frischen Verband und ist von mir dazu verdonnert worden, liegen zu bleiben.«
»Das wird sie nicht tun, befürchte ich.«
»Doch, denn diese Hariata ist bei ihr, und das ist genau wie bei uns beiden. Dass die Vernünftige auf die Ungestüme aufpassen muss!«
»Du willst aber nicht behaupten, dass in unserem Verhältnis du die Aufpasserin bist, nicht wahr?«, lachte Lucie.
»Wie könnte ich?« Harakeke lächelte, wurde aber sofort wieder ernst. »Evas Verletzung ist ein Kratzer gegen Berenices Verletzung. Doch da deine bezaubernde Enkelin sogar zwischenzeitlich aufgewacht ist und wieder ganze die Alte war …«
»Was heißt das?«
»Sie hat mich gesehen und gebrüllt: ›Hau ab, du alte Hexe!‹ Der Doktor solle kommen! Doch dann hat sie angefangen zu schreien, und Eva hat sie beruhigt. Sie hat ihr versichert, dass Doktor Thomas tot ist. Und da …?«
»Sie hängt doch so an dem Kerl. Verstehst du das? Ich hatte nie eine besondere Verbindung zu meiner Enkelin. Trotzdem möchte ich, dass sie wieder gesund wird. Das wird sie doch, oder?«
Harakeke legte Lucie beruhigend die Hand auf den Unterarm. »Ja, ich bin mir ganz sicher, dass sie wieder wird, aber da ist noch was …« Sie stieß einen tiefen Seufzer aus, bevor sie fortfuhr. »An ihren Schenkeln sind Verletzungen, die nicht von herabstürzenden Steinen stammen können. So, als hätte jemand sie dort fest angepackt …«
»Du meinst, jemand hat versucht, sie zu …«
»Ja, das nehme ich an, und ich ahne auch, wer es gewesen sein könnte, denn, wie es aussieht, ist er vom Dach des Wirtschaftsraums erschlagen worden, während sie es geschafft hat, vor ihm zu fliehen …«
»Du meinst den Doktor?«, fragte Lucie, doch sie schien plötzlich geistesabwesend.
»Woran denkst du? Du siehst aus, als wäre dir ein Geist erschienen.«
»An das eingestürzte Dach«, erwiderte sie mechanisch und war doch nicht recht bei der Sache. Ihre Gedanken galten allein der Frage, ob beim Einsturz des Daches womöglich noch andere Dinge zu Tage getreten waren.
»Darum musst du dir wegen des Anbaus gar keine Sorgen machen«, redete Harakeke beruhigend auf sie ein. »Die alten Männer, die du in deinem Haus aufgenommen hast, wollen dir danken und haben begonnen, den Schutt wegzuräumen, und versprochen, dass sie dir alles wieder aufbauen können …«
»Auf keinen Fall!«, schrie Lucie. »Ich will nicht, dass Fremde sich am Nebengebäude zu schaffen machen. Darinnen lagern meine ganzen Erinnerungen. Ich will nicht, dass sie meine persönlichen Dinge in den Händen halten. Die sollen alles so liegen lassen. Ich werde mich später selbst darum kümmern oder wir lassen es einfach liegen. Zum Gedenken an diesen abscheulichen Tag.« Lucies Stimme überschlug sich beinahe vor Erregung.
Harakeke wollte gerade etwas erwidern, als Eva sich zu ihnen auf die Veranda gesellte.
»Was ist denn das für ein Geschrei?«, fragte sie verwundert.
»Frag Lucie. Ich habe ihr nur gerade etwas Wichtiges erzählt, aber sie hat nur Gedanken für ihren Wirtschaftsraum. Es stört sie, dass die alten Männer, die im Garten lagern, sich nützlich machen und den Schutt beiseiteschaffen wollen. Sie
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