Die Maori-Prinzessin
Tochter sterben musste bei all dem, was du in deinem Leben durchmachen musstest …« Eva brach in lautes Schluchzen aus.
Lucie aber ließ die Arme sinken und blickte ins Leere.
»Joanne war nicht meine Tochter«, murmelte sie wie entrückt.
N APIER , O KTOBER 1876
Das Warten auf die Wehen war eine scheußliche Angelegenheit, jedenfalls für einen so ungeduldigen Menschen wie Lucie Bold. Sie konnte sich kaum auf das Spiel mit Klötzchen aus Holz konzentrieren, obwohl das Spielen mit ihrem kleinen Sohn sonst eine ihrer Lieblingsbeschäftigungen war. Tommy war im Juli ein Jahr alt geworden und ein aufgewecktes Kerlchen. Manchmal betrachtete sie ihr eigenes Kind, als wäre es ein Weltwunder. Er hatte blonde Locken, blaue Augen und pralle rote Bäckchen. Ist das wirklich mein Sohn, fragte sie sich auch in diesem Moment, während Tommy mit Triumphgeschrei dem Turm einen Stoß gab und die Klötzchen über den ganzen Boden purzelten. Dieses Werk der Zerstörung quittierte der Kleine mit seinem ansteckenden Kinderlachen. Lucie konnte gar nicht anders, als ihn an sich zu reißen und zu herzen. Doch da durchzuckte sie ein bekannter Schmerz. Sie atmete tief durch, um nicht laut aufzuschreien. Nun war es so weit!
Sie erhob sich, sobald der Schmerz verebbt war, und übergab Tommy dem Hausmädchen Mary, das ihr seit einem Jahr eine große Hilfe war, mit der Bitte, ihn zu Miss Dorson zu bringen. Der Kleine quietschte vor Vergnügen. Er liebte Tante Ha, bei der es manch süße Dinge zu essen gab, die zu Hause verboten waren. Lucie winkte ihm nach, aber er war viel zu aufgeregt, um sich noch einmal seiner Mutter zuzuwenden.
Laut stöhnend ging Lucie zum Schlafzimmer. Hier war Miss Benson bereits dabei, alles für die Geburt vorzubereiten. Nachdem Lucie sie damals vor die Alternative gestellt hatte, kein böses Wort mehr über Harakeke verlauten zu lassen oder aber das Haus Bold auf Nimmerwiedersehen zu verlassen, war sie ihr als Hebamme erhalten geblieben. Zwar merkte Lucie, dass es ihr schwerfiel, den Mund zu halten, aber sie tat es.
»Wie unvernünftig Sie sind, dass Sie im Haus herumgeistern«, schimpfte Miss Benson, während sich Lucie ächzend auf das Bett legte.
»Das kann doch noch Stunden dauern«, lachte Lucie.
»Beim zweiten Mal kann es schneller gehen, als Sie denken«, belehrte sie die Hebamme.
»Gut, dann werde ich noch ein wenig schlafen«, erwiderte Lucie gähnend. »Ich habe nämlich heute Nacht mit Tommy gespielt. Er wachte auf und war nicht mehr zurück ins Bettchen zu kriegen.«
»Sie verwöhnen den Bengel viel zu sehr!«, knurrte die Hebamme missbilligend.
Lucie machte eine wegwerfende Handbewegung und drehte sich zur Seite. Glückselig strich sie sich über den dicken Bauch und schoss einen Augenblick später hoch. Die Hebamme hatte recht. Dieses Mal ging es Schlag auf Schlag. Die Eröffnungswehen folgten so schnell aufeinander, dass sie ihr keine Zeit mehr zum Ruhen ließen.
Sie hatte keine Ahnung, wie lange die Geburt gedauert hatte, als sie nach nur wenigen Presswehen den Schrei ihres Kindes hörte. Es lebt, dachte sie dankbar und hielt still, bis die Hebamme sie gesäubert hatte. Dann streckte sie die Arme aus und seufzte: »Was ist es?«
»Sie haben eine Tochter«, erwiderte Miss Benson und in ihrer Stimme schwang etwas mit, das Lucie nicht gefiel. Stimmte etwas nicht mit dem Kind?
Lucie setzte sich erschrocken auf. »Ist etwas?«, fragte sie ängstlich.
»Nein, nein, es ist ein zartes Mädchen«, erwiderte die Hebamme und drückte ihr das straff in ein weißes Tuch gewickelte Bündel in den Arm.
Auf einen Blick erkannte Lucie, was dieser Ton in Miss Bensons Stimme zu bedeuten hatte. Der Säugling hatte hellen Flaum auf dem Kopf, aber die Haut ging unübersehbar ins Gelbliche.
»Sie ist sehr dunkel, nicht wahr?«, fragte Lucie.
»Ja, schon, im ersten Augenblick habe ich mich auch erschrocken, denn wenn die Haut des Babys bei der Geburt gelblich schimmert, ist das meist kein gutes Zeichen, aber dann fiel mir ein, dass es ja nach Ihnen kommen könnte.«
Lucie hörte gar nicht mehr zu, weil das neugeborene Mädchen nun die Augen öffnete. Sie waren blau und klar. Lucie lächelte. Es war doch völlig gleichgültig, ob sie ihren Teint geerbt hatte oder den von Tom. Hauptsache war, die Kleine war gesund. In ihrer grenzenlosen Freude über die Geburt ihres zweiten Kindes übersah Lucie den besorgten Blick der Hebamme und bot ihrem Kind nun die Brust. Doch das Mädchen wollte nicht
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