Die Maori-Prinzessin
dann reichte sie ihm das Kind, nicht ohne das gelbliche Gesicht vorher mit Küssen zu bedecken.
Kaum hatte der Arzt das tote Kind auf dem Arm, als er murmelte. »Ikterus, keine Frage.« Dann schob er vorsichtig ein Lid nach oben. »Ja, Ikterus.«
»Wovon reden Sie, Doktor?«, fragte Tom, während er seine tote Tochter im Arm des Doktors fassungslos betrachtete.
»Sie hat eine schwere Gelbsucht. Damit hatte ein kleines Wesen wie sie keine Überlebenschance«, erklärte er und fügte leise hinzu: »Kümmern Sie sich jetzt um Ihre Frau. Ich befürchte, es ist nicht spurlos an ihr vorübergegangen.«
Die beiden Männer starrten zu Lucie hinüber, die weiter so tat, als würde sie ein Kind in ihren Armen wiegen, und ihm etwas auf Maori vorsang.
Tom näherte sich vorsichtig dem Bett und legte Lucie, die nichts mehr um sich herum wahrzunehmen schien als dieses imaginäre Wesen in ihrem Arm, vorsichtig seine Hand auf die Schulter. Sie aber reagierte gar nicht, sondern fuhr mit ihrem Gesang fort.
»Lucie, wir werden noch mehr Kinder bekommen. Bitte, hör auf damit!«
Ohne ihn auch nur eines Blickes zu würdigen, raunte sie: »Psst, Margret schläft. Du darfst sie nicht wecken.«
Tom warf dem Doktor einen unglücklichen Blick zu. Der Doktor zuckte die Achseln. Er hatte fast gegen jedes Leiden ein passendes Rezept, aber nichts gegen den Schmerz einer Mutter, die soeben ihr Kind verloren hatte.
Tom wandte sich seufzend von Lucie ab, die vollkommen glücklich in ihrer Fantasiewelt zu sein schien.
»Ich weiß nur eines, das sie wieder zur Vernunft bringen könnte«, flüsterte er dem Doktor zu. »Ihre Schwester Harakeke muss kommen. Bitte bleiben Sie noch, bis sie bei Lucie ist. Ich lege unsere Tochter in die Wiege.«
»Gut, Mister Bold. Ich setze mich solange zu ihr. Ich denke, das ist der Schock. Das geht schnell vorüber. Glauben Sie mir!«
Lucie bemerkte, wie sich der Doktor auf einen Stuhl neben ihr Bett niederließ und sie musterte.
Ein Lächeln erhellte Lucies Gesicht. »Was sagen Sie zu meiner Tochter, Doktor? Haben Sie schon ein schöneres Mädchen gesehen?«
»Nein«, erwiderte der Doktor knapp. Ihm widerstrebte es, Lucie in ihrem Wahn noch zu unterstützen, aber die Stimme der Vernunft würde sie in diesem Augenblick mit Sicherheit nicht erreichen.
»Tom hat den Namen ausgesucht. Ich finde, er passt zu ihr. Margret. Dann können wir sie später Maggy nennen. Gefällt Ihnen der Name?«
Doktor Thomas nickte schwach. Was würde er darum geben, dass ihm ein Mittelchen einfiel, diesen Unsinn zu stoppen. Er atmete erleichtert auf, als Misses Dorson herbeigeeilt kam.
»Ich glaube, Sie können gehen«, raunte Harakeke ihm zu und nahm, kaum dass er sich erleichtert entfernt hatte, seinen Platz ein.
Sie räusperte sich ein paar Mal, um ihre Schwester auf sich aufmerksam zu machen, doch vergeblich. Lucie hatte den Blick auf das imaginäre Baby in ihrem Arm geheftet.
»Das ist aber ein schönes Kind, das du da wiegst«, sagte Harakeke schließlich. Damit zog sie die Aufmerksamkeit ihrer Schwester auf sich.
»Darf ich mal?«
»Aber vorsichtig«, ermahnte Lucie Harakeke, die jetzt so tat, als würde sie das Kind auf den Arm nehmen. »Darf ich ihm sein Bettchen zeigen?«, fragte sie und bewegte sich auf die Wiege zu. Tom hatte ihr berichtet, dass das tote Kind dort lag.
»Nur kurz. Ich kann es gar nicht hergeben.«
»Ganz kurz«, versprach Harakeke und tat so, als würde sie ein Kind in die Wiege legen, um dann das tote Kind auf den Arm zu nehmen. Ein kalter Schauer durchlief sie, als sie in das pergamentene Gesicht des toten Kindes blickte. In diesem Augenblick war sie beinahe erleichtert, dass sie mit dem alten Mister Dorson nur platonisch zusammenlebte und wohl auch nie mehr einen Mann treffen würde, bei dem es ihr nach mehr verlangte. Was ein quicklebendiges Kind wie Tommy auch für Freuden bereitete, was für eine Qual musste so ein Anblick für eine Mutter sein … Harakeke holte tief Luft und kehrte mit dem Leichnam des Mädchens zurück zu ihrer Schwester. Ihr Herz pochte bis zum Hals, schließlich konnte sie nicht garantieren, dass Lucie nicht völlig die Fassung und den Verstand verlor, wenn man sie derart brutal mit der Wahrheit konfrontierte. Doch es scheint die einzige Möglichkeit, Lucie in das wahre Leben zurückzuholen, entschied sie.
Lucie streckte bereits ungeduldig ihre Arme aus. Harakeke zögerte nicht, ihr das tote Mädchen in den Arm zu legen. Sie betete, dass alles nach Plan lief und
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