Die Marionette
hohen körperlichen Anforderungen nicht gewachsen.«
»Katja war ein Sonderfall«, erwiderte Mayer. »Sie hat als Sportlerin der Bundeswehr höchste Auszeichnungen erhalten und sich auf diese Weise eine Genehmigung erkämpft, an dem Eignungsfeststellungsverfahren teilzunehmen.«
»Und die Tests bestanden.«
Mayer nickte.
»Warum ist das nie öffentlich gemacht geworden?«, fragte Schavan.
»Die Gefahr war zu groß, dass ihre Identität gelüftet worden wäre. Es hätte sie angreifbar gemacht.«
Ein großer, schlanker Mann in Uniform mit den Rangabzeichen eines Oberst kam auf sie zu. Der Kommandeur des KSK . Er begrüßte sie kurz, bevor sie zusammen hineingingen. »Es ist alles vorbereitet«, sagte er. »Wir würden Sie gern aktiv unterstützen, aber das Grundgesetz verbietet uns, wie Sie wissen, leider den aktiven Einsatz im Inneren.«
***
Calw, Deutschland
Katja ließ den Geländewagen auf einem Feldweg zwischen frisch bestellten Feldern ausrollen und nahm das Fernglas vom Beifahrersitz. Der Regen hatte aufgehört, und die schweren Wolken verzogen sich. Die Sonne brach durch und ließ die Feuchtigkeit in dichten Schwaden von den umliegenden bewaldeten Hängen aufsteigen. Sie blickte durch das Fernglas auf Calw im Tal der Nagold, auf die Ortsteile, die sich an den Hängen emporzogen. Ihr Gefühl sagte ihr, dass sie zu spät kam. Es war ruhig. Zu ruhig. Als hielten die Kreisstadt und die Anhöhen um sie herum den Atem an. Als warteten sie auf etwas. Katja zog eine Schachtel Zigaretten aus der Brusttasche ihrer Jacke. Sie steckte sich eine an und inhalierte tief den Rauch, versuchte ihrer Paranoia Herr zu werden. Es war kurz vor drei Uhr nachmittags. Woher sollten sie wissen, dass sie hier war? Der Sprengsatz in Bonn war nicht explodiert. Das Spiel war wieder offen, konnte jede Richtung nehmen. Sie hatte sich vor anderthalb Stunden während einer kurzen Pause auf einem Rastplatz sogar auf ein Gespräch mit Valerie Weymann eingelassen. Die Anwältin hatte sie gewarnt. »Wenn Sie weitermachen, werden die Sie töten, Katja. Ich kann nichts für Sie tun, es sei denn Sie geben Ihren Plan auf.« Es gab keinen Plan mehr, hatte sie Valerie sagen wollen, aber sie hatte es nicht getan. Doch der Gedanke hatte sie beschäftigt. Wenn es keinen Plan mehr gab, warum dann daran festhalten? Valerie Weymann hatte ihr zu verstehen gegeben, dass sie zum jetzigen Zeitpunkt im Falle einer Verurteilung nicht mit einer Gefängnisstrafe rechnen musste. »Soviel habe ich für Sie herausgeholt«, fuhr sie fort. »Sie werden Bewährung bekommen, mit der Auflage, sich einer Therapie zu unterziehen.« Valerie Weymann hatte noch viel mehr gesagt, hatte Katjas unausgesprochenen Zweifeln an der Richtigkeit dessen, was sie tat, eine Stimme gegeben, die logisch und klar argumentierte, gleichzeitig aber auch eine unerwartete Herzenswärme und ein Verständnis ausstrahlte, dem Katja sich nicht mehr hatte entziehen können. Sie hatte Valerie glauben, die Hand nehmen wollen, die sie ihr reichte. Die Geborgenheit spüren, die sie versprach. Doch dann war ihr Gespräch abrupt unterbrochen worden. Es war nicht möglich gewesen, die Verbindung wiederherzustellen. Katja hatte noch eine ganze Weile auf dem Parkplatz im Wagen gesessen und auf den schwarzen Schirm ihres Laptops gestarrt, bevor sie schließlich weitergefahren war. Nach Calw. Der ursprüngliche Plan. Sie hatte nicht darüber nachgedacht, es war einfach passiert.
Hinter der Rückbank begann Bender zu rumoren. Der ganze Wagen wackelte, als er gegen die Karosserie trat und trotz seines Knebels erstickte Laute von sich gab. Sie hatte schon viel zu lange auf der Kahlfläche gestanden und auf den Ort hinuntergeblickt. Sie ließ den Motor an, wendete und folgte dem Weg zurück in den Wald hinein. Dann stieg sie aus und öffnete die Hecktür des Geländewagens. Bender starrte sie wütend an, als ahne er, was folgen würde. Sie nahm eine Einwegspritze aus dem kleinen Medikamentenkoffer vom Rücksitz und zog sie auf. Bender verfolgte jede ihrer Bewegungen und wehrte sich, so gut er konnte, als sie ihn zu sich heranzog, seine Armbeuge desinfizierte und die Vene suchte. Sie hatte diese Handgriffe schon so oft und unter den schwierigsten Bedingungen ausgeführt, dass er keine Chance hatte. Behutsam drückte sie die klare Flüssigkeit in seinen Körper und zählte, während sein Blut die Substanz aufnahm. Nach zehn Sekunden erschlaffte sein Widerstand. Seine Augen wurden glasig, und die Lider fielen zu.
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